Herzenswanderung

„Verzage nicht: Der Stern ist da und leuchtet. […] Die sehnsüchtige Unruhe treibt. […] Brich auf, mein Herz, und wandre!“

„Siehe, die Weisen haben sich aufgemacht. […] Sie werden ihr kühnes Herz selbst ein wenig gefürchtet haben […]. Aber das Herz ist stark und selig mutig. Sie gehorchen ihm und gehen. Und plötzlich, als sie die Heimat hinter sich gelassen haben, wird ihr Herz leicht, wie das Herz eines, der alles gewagt hat und mutiger ist, als man eigentlich […] sein kann. Sie gehen verschlungene Pfade, aber vor Gottes Augen ist es der gerade Weg zu ihm […].“

„Brich auf, mein Herz, und wandre! Es leuchtet der Stern. Viel kannst Du nicht mitnehmen auf dem Weg. Und viel geht dir unterwegs verloren.“

(Aus: Karl Rahner, Kleines Kirchenjahr. Ein Gang durch den Festkreis, Freiburg/Br. 1981, 39-42)

Diese Reflexion zum Jahresende beschreibt die Dynamik, aus der heraus das Projekt Tenna Hospiz entstanden ist: Am Anfang war ein Traum, ein Stern der leuchtete. Doch selbst das kühne Herz fürchtete sich.

Es brauchte dann eine Auszeit um den Auftrag wahrzunehmen, einen solchen Traum nicht nur zu träumen, sondern auch umzusetzen. Ich gehorchte ihm, und ging.

Heute kann ich sagen, dass mein Herz leicht wurde und dass ich immer noch verschlungene Pfade gehen muss. Doch der Weg führt zum Ziel, der Traum wurde Wirklichkeit.

Viel kann (und will) ich nicht mitnehmen. Und vieles ist unterwegs auch verloren gegangen. Doch, ich sehe auch Hinweise für den geraden Weg.

Brich auf mein Herz und wandere fortan.

Gendergerechte Schreibweise

HosenscheisserInnen, BünzlibürgerInnen, KompromisslerInnen

…ein Untertitel aus einem auf einer mechanischen Schreibmaschine vor mir verfassten und getippten “Aufruf zur Gründung eines Friedenskollektivs” aus dem Jahr 1978 oder 1979.

Heute ist gendergerechte Schreibweise in aller Menschen Munde. Darum hat es mich interessiert, wie alt dieser Trend eigentlich schon ist. Wikipedia schreibt dazu folgendes:

“Ab den 1940ern verbreitete sich die Schreibweise mit Schrägstrich plus BindestrichLehrer/-innen. Im Rahmen der zweiten Frauenbewegung ab den 1960ern wurde der Schrägstrich verstärkt eingesetzt, um Frauen sichtbar zu machen, während allgemein noch der Gebrauch von rein männlichen Personenbezeichnungen zur geschlechtlichen Verallgemeinerung üblich war (generisches Maskulinumalle Lehrer).

Ab den späten 1970er-Jahren entwickelte die Feministische Linguistik das Konzept der „geschlechtergerechten Sprache“ und passende Formulierungsmöglichkeiten, um Frauen auch sprachlich gleich zu behandeln. […]

1981 war der Vorschlag aufgekommen, den Schrägstrich mit dem nachfolgenden kleinen „i“ zum Großbuchstaben „I“ zusammenzuziehen, als „Binnen-I“ bezeichnet: LehrerInnen. “

Das abgebildete Dokument zeigt Versuche einer inklusiveren Schreibweise als Teil des Friedensprozesses. Und wenn ich den ganzen Artikel lese, einhält dieser auch eine Skizze meines Lebensweges.

Eine wahrliche Trouvaille, die vierzig Jahre in einer Kiste auf meines Bruders Estrich lagerte!

Trouser-shitters, cocksuckers, compromisers

…a subtitle from a “Call for the Foundation of a Peace Collective” written and typed by me on a mechanical typewriter in 1978 or 1979.

Today, gender-sensitive writing is on everyone’s lips. That’s why I was interested to know how old this trend actually is. Wikipedia in German writes the following about it:

“Starting in the 1940s, the spelling with slash plus hyphen spread: Lehrer/-innen. In the context of the second women’s movement, starting in the 1960s, the slash was increasingly used to make women visible, while the use of purely masculine personal designations for gender generalization was still common (generic masculine: all teachers).

Beginning in the late 1970s, feminist linguistics developed the concept of “gender-equal language” and appropriate ways of phrasing it in order to treat women equally in terms of language as well. […]

By 1981, a proposal had emerged to combine the slash with the following lowercase “i” to form the uppercase “I,” referred to as the “internal I.” Teachers=LehrerInnen. “

The document pictured shows attempts at more inclusive spelling as part of the peace process. And when I read the whole article, it also includes a sketch of my life’s journey.

A true trouvaille, stored in a box in my brother’s attic for forty years!

Verschwende Deine Zeit nicht!

Verschwende Deine Zeit nicht!


Ich bin mit der Devise “Verschwende deine Zeit nicht” aufgewachsen. Meine Eltern legten grossen Wert darauf, dass ihre Kinder das Beste aus ihrer Zeit machen (und auf keinen Fall ihre Zeit verschwenden). Erst jetzt erkenne ich, dass diese Einstellung nicht etwas rein Nützliches war – ein Weg, um aus der Misere herauszukommen und nach oben zu kommen. Sie hat tatsächlich biblische Wurzeln:

Macht das Beste aus der Zeit, denn die Tage sind böse. Eph 5:16 (ESV)

for an English version of this article: don’t waste your time


Für die Generation meiner Eltern und Grosseltern schien es zu funktionieren, das Beste aus ihrer Zeit zu machen. Sie alle haben ihre Wurzeln in einem agrarischen Lebensstil, der Optionen im Leben grösstenteils ausschloss und mit einer gehörigen Portion Schwerstarbeit, Knechtschaft, Elend und Armut verbunden war. Aber sie überwanden diese Last und schufen sich eine weitaus komfortablere weltliche Existenz.

Meine Grossmutter väterlicherseits verliess das Rittergut in Sachsen, auf dem sie aufwuchs, mit 18 Jahren. Ihre Familie “gehörte” seit Generationen dorthin und arbeitete in der Landwirtschaft für die Familie von Schönberg, der das Gut seit dem 13. Jahrhundert besass. Die Besitzer wohnten im Schloss, während die Familie meiner Grossmutter und alle anderen Landarbeiter in und über den Scheunen und Ställen wohnten und sich den Platz und den Status mit den Zugpferden, Rindern und anderem Vieh eng teilten. Und obwohl sie die manuelle Arbeit für einen der wichtigsten Nahrungsmittelproduzenten der Region leisteten, kannten sie den Hunger nur zu gut. Das Vieh und die Feldfrüchte, die sie züchteten, waren nicht für die Ernährung der Arbeiter bestimmt, sondern sollten auf profitablen Märkten zu einem guten Preis verkauft werden. Die Arbeiter und ihre Familien durften die Felder nach der Ernte für den Eigenbedarf bewirtschaften. Die einzige Quelle für tierisches Eiweiss waren die Fischköpfe, die sie vom Fischhändler bekommen konnten, weil er keine andere Verwendung dafür hatte. Noch Jahrzehnte später konnte Oma einen herrlichen Fischkopfeintopf zubereiten – aber sie teilte ihn oft nicht mit ihrer Familie. Sie schämte sich wegen der Stigmatisierung: Menschen, die Fischköpfe essen, sind arm und möglicherweise faul. Hätten sie doch nur ihre Zeit besser genutzt…


Mein Grossvater mütterlicherseits hatte seine eigene Geschichte der Ausgrenzung. Er wuchs in einer Familie von Wanderarbeitern im Napfgebiet in der Schweiz auf. Die Heuböden der relativ wohlhabenden Bauern waren oft sein Zuhause. Schon in jungen Jahren wurden seine Zeit und sein handwerkliches Geschick von der Familie für das schlichte Überleben benötigt. Er war sehr geschickt und kenntnisreich in vielen bäuerlichen Arbeiten. Sieben Winter lang konnte er die Schule in Teilzeit besuchen, je nach Arbeitsanfall und Wetterbedingungen zwischen den abgelegenen Bauernhöfen und der kleinen Einraumschule. Er schloss die Schule schliesslich mit der vierten Klasse ab.

Aber alle meine Grosseltern konnten sich aus der bitteren Armut befreien und aus dem vorindustriellen Leben auf den Bauernhöfen in ein industrielles Leben aufsteigen. Beide Grossväter wurden Lastwagenfahrer mit der ersten Generation von motorisierten Fahrzeugen. Beide Grossmütter arbeiteten in der Gastronomie, bis sie heirateten und zu Hausmüttern wurden. Sie nutzten ihre Zeit sinnvoll, bildeten sich weiter und arbeiteten hart und sicherten sich so einen festen Arbeitsplatz, ein Einkommen und eine Rente. Sie zogen in die Stadt und konnten sich eine menschenwürdige Mietwohnung in einer Arbeiterwohnbaugenossenschaft leisten.

Sie haben den Glauben vorgelebt und weitergegeben, dass man es schaffen und aufsteigen kann, wenn man keine Zeit und Mühe verschwendet. Meine Eltern hatten die Möglichkeit, die Oberstufe abzuschliessen und einen Beruf zu erlernen, weil ihre Familien finanzielle Opfer brachten und hart arbeiteten. Mein Vater musste seine Ausbildung am Technikum fortsetzen und Abendkurse besuchen, während er Vollzeit arbeitete. Er wurde schliesslich Ingenieur und war die erste Person in der Familie, die einen Diplomabschluss hatte. Das ermöglichte meinen Eltern den Aufstieg in die Mittelschicht der Gesellschaft. Es ließ sie auch glauben, dass es für ihre Kinder kein Hindernis geben würde, es bis ganz nach oben zu schaffen: Reichtum, Ansehen und möglicherweise Ruhm waren in Sicht.

Was meine Eltern nicht wussten, war, dass die nächste Stufe der Aufwärtsmobilität in einer globalisierten Gesellschaft weitaus komplexer war als nur die bestmögliche Nutzung von Zeit und Mühe. Zeit wurde zu einer Ware, und nur wer seine Zeit kaufen konnte, hatte echte Chancen: Es reichte nicht mehr aus, hart zu arbeiten – jetzt war es erforderlich, sich zu vernetzen und Multitasking zu betreiben, sich an vielen Aktivitäten und Ursachen zu beteiligen, um voranzukommen (oder aufzusteigen). Ein einziges Einkommen reichte nicht mehr aus, um eine Familie zu versorgen, wohlhabend zu werden, Eigentum anzuhäufen und für die Zukunft vorzusorgen.

An diesem Punkt begann ich zu rebellieren und die zugrunde liegenden Annahmen über die Nutzung der Zeit in meinem Leben ernsthaft zu hinterfragen. Warum war es zwingend notwendig, die Zeit in Arbeitszeit (zunehmend), Familienzeit (abnehmend), Freizeit und Spass (wenn möglich) aufzuteilen? Warum war es nicht möglich, zu derselben Zeit und an demselben Ort zu lernen und zu arbeiten, an dem ich lebe und am Leben teilhabe, an dem ich mich amüsieren und gesund bleiben kann?

Alles ist eins – ich sehe das Leben immer noch als eine Einheit von Lieben, Arbeiten und Nachdenken.

Aber das heutige Leben ist immer mehr aufgeteilt, was nur möglich ist, wenn wir die Mittel haben und uns leisten können, schnell und effizient von einer Abteilung in die nächste zu wechseln – entweder durch Hetzen und Fahren von einer Sache zur nächsten oder heutzutage durch Multitasking mit einer ganzen Reihe von Gadgets: Es ist möglich, E-Mails zu checken und gleichzeitig zu telefonieren, während man zum nächsten gewünschten Termin fährt. Und wir kommen an einen Punkt, an dem es akzeptabel wird, Dinge unvollständig oder ungeschliffen zu lassen, weil wir alle wissen, dass die Zeit nicht ausreichen wird, um alles zu erledigen.

Wenn du keine Zeit hast, es richtig zu machen, wann wirst du dann Zeit haben, es noch einmal zu machen? (John Wooden)


Ich kann die Erschöpfung bereits spüren, während ich dies schreibe. Die Zeit optimal zu nutzen, hat eine Bedeutung und Intensität erreicht, die für die Generation unserer Eltern unvorstellbar war. Sprechen wir immer noch von demselben Zeitkonzept, das ich vorhin anhand eines biblischen Beispiels erwähnt habe?

Interessanterweise gibt es im Griechischen zwei verschiedene Begriffe, die routinemäßig mit Zeit übersetzt werden, nämlich Χρόνος (chronos) und καιρός (kairos). Ich wurde an diese Unterscheidung erinnert, als ich einen Artikel über die Askese der Zeit von James D. Whitehead las (Review for Religious, 39(1980), S. 3-17).

Chronos bezeichnet die Dauer, das Vergehen der Zeit, den chronologischen Verlauf und die Kontinuität von der Vergangenheit zur Gegenwart und in die Zukunft. Dies ist die Zeit, die wir gut kennen, die Zeit, die knapp wird, die abläuft und die verschwendet oder klug und effizient genutzt werden kann. Auf der anderen Seite gibt es den Kairos, die Zeit der Gelegenheit und des Anlasses – etwas, das wir in der Umgangssprache als den richtigen Zeitpunkt bezeichnen würden. Der richtige Zeitpunkt ist nicht messbar oder mit der Uhr bestimmbar. Er beruht auf einer Bedeutung, die tief in der persönlichen oder kollektiven Erfahrung und Spiritualität verankert ist.


Whitehead unterscheidet eine Triade von Lebens- und Erfahrungsweisen der Zeit: Er postuliert ein Kontinuum von Dissipation über Konzentration bis hin zu Zwang. Zerstreuung ist der Modus, den wir als Langeweile, als Plackerei der Zeit erleben. Sie charakterisiert Sinnlosigkeit und Richtungslosigkeit. “Das Leben geht weiter, oder es entgleitet, oder es wendet sich ab, aber es genießt keine besondere Energie oder Konzentration” (S.8). Die No-Future-Bewegung und -Generation verkörpert diesen Modus der Zeit auf dramatische Weise: Die Menschen wissen nicht, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollen und finden manchmal ein Ventil für ihre Energie in gewalttätigen Verhaltensweisen.

Das andere Extrem ist der Zwang, die zwanghafte Fokussierung: Dinge müssen erledigt werden, die Menschen fühlen sich getrieben, und bestimmte Unternehmungen absorbieren unsere ganze Aufmerksamkeit und vernachlässigen andere Aspekte unseres Lebens. Das ist die Vision, die meine Eltern für ihre Kinder hatten: es bis an die Spitze zu schaffen und anderen zu beweisen, dass ich etwas zustande bringen kann. Sie ist eingebettet in die postmoderne Verherrlichung der (ewigen) Jugend und die Angst vor dem Altern und Sterben. Sie ist auch in der Wirtschaftstheorie des ständigen Wachstums verankert. Die Menschen werden in ein Rattenrennen hineingezogen, bis sie zusammenbrechen.

Zwischen den beiden Extremen liegt der Modus der Konzentration als eine dritte Art von Zeit und Lebenserfahrung. Dies sind die Momente oder Perioden im Leben, in denen wir uns gegenwärtig fühlen und uns auf harmonische Beziehungen konzentrieren, einen Sinn in unserer Existenz und unseren täglichen Aktivitäten jenseits von Vergleich, Wettbewerb und Gewinn finden und Zeit haben, über das “Hiersein” nachzudenken und es zu schätzen.

Whitehead sieht Chronos in beiden Extremen des Spektrums am Werk, qualifiziert aber die konzentrierte Lebensweise als kairotisch – als heilige Zeit. Wann immer wir einen Moment im kairos erleben, erfahren wir ihn als Geschenk. Leider haben unsere Gesellschaft und Wirtschaft auch eine ganze Industrie hervorgebracht, die diese menschliche Sehnsucht nach Kairos-Erfahrungen ausnutzt, indem sie eine endlose Reihe von Ersatzprodukten verkauft, die unsere Bücherregale oder Terminkalender noch weiter füllen können.

Zeit ist das, was wir am meisten wollen, aber was wir am schlechtesten gebrauchen (William Penn, Vorwort zu Some Fruits of Solitude In Reflections And Maxims, 1693)


Diese Perversion der Zeit und ihrer Erfahrung als Mensch scheint sich in dem Zitat von William Penn widerzuspiegeln das auf die ständige Sehnsucht nach heiliger Zeit hinweist, während wir in Echtzeit agieren, sei es, indem wir Zeit verschwenden oder indem wir auf den unaufhörlichen Druck und die Erwartungen reagieren, die Gesellschaft, Wirtschaft und Politik dem Leben auferlegen.

Kairos ist der Ausdruck von Zeit, in der wir als Menschen mit einer höheren Macht, mit Gott, verbunden sind. Wie ich in einem früheren Beitrag schrieb, muss und will ich die Fähigkeit erlernen, innezuhalten und zuzuhören. Diese Fähigkeit ist das, was Whitehead als Askese der Zeit beschreibt. Sie beginnt damit, dass wir uns Zeit nehmen, um darüber nachzudenken, wie wir unser tägliches Leben strukturieren, wie wir unsere Ziele und Bestrebungen im Leben festlegen. Wir müssen erkennen, dass leere Räume keine Zeitverschwendung sind, sondern eine Gelegenheit zum Gebet und zur Reflexion. Aber eine Askese der Zeit ist viel mehr als ein gutes Zeitmanagement, denn dabei geht es um die messbaren Qualitäten des Chronos. Es geht um die Erkenntnis, dass wir von der Führung abhängig sind, dass wir unbedeutende, aber wesentliche Teilchen in einem Universum sind. Es geht um die Erkenntnis, dass wir, wenn wir uns die Zeit nehmen, innezuhalten und zuzuhören, den richtigen Zeitpunkt kennen lernen, eine Gelegenheit, die manche als den Willen Gottes bezeichnen. Anstatt Dinge schnell zu tun, können wir jetzt lernen, sie richtig zu tun!

Auf diese Weise nutzen wir unsere Zeit am besten, und die Tage sind nicht mehr böse.

Ich denke immer noch über die Lebenserfahrung meiner Eltern und Grosseltern nach. Wie viel wussten sie über die Unterscheidung von Chronos und Kairos, darüber, weniger in den Extremen als auf dem Kontinuum zwischen Ausschweifung und Zwang zu leben? Unabhängig davon, ob sie sich dieser theoretischen Dinge bewusst waren oder nicht, haben sie mir einen Sinn für das Richtige vermittelt, den ich mit den Menschen um mich herum teilen und an die nächste Generation weitergeben möchte.

Schwierige Entscheidungen – selber entscheiden

In Zeiten der Pandemie ist es genau so wichtig wie an jedem normalen Tag, dass jeder Mensch sich im Klaren ist, was er oder sie möchte, falls sie oder er nicht mehr fähig sein wird, selber zu entscheiden. Aus meiner Erfahrung – und ich hatte das während mehrerer Jahre selber praktiziert – schieben viele das Erstellen einer Patientenverfügung und eines Vorsorgeauftrags stetig vor sich her.

Das Wichtigste am Erstellen einer Patientenverfügung und eines Vorsorgeauftrages ist, dass wir uns in guten Zeiten überlegen, was einem persönlich wichtig ist im Leben. Genau so wichtig ist, dass man diese Gedanken und Überlegungen teilt mit den Menschen, denen man vertraut. 

Am Tag, wo wir betroffen werden von ersthafter Krankheit, Gebrechlichkeit oder einem Unfall, kann es zu spät sein, seinen eigenen Willen zu äussern. Deshalb sieht unser Gesetz vor, dass wir vorsorglich festhalten können, was uns wichtig ist und wie gewisse Fragen entschieden werden sollen, falls wir selber nicht mehr fähig sind dazu.

Die Medien sind derzeit voll von Berichten über Menschen, die in kürzester Zeit von leichten Grippesymptomen befallen eine schwere Lungenentzündung und Komplikationen entwickeln. Sie landen auf einer Intensivstation, werden sediert und mit intensivster medizinischer und technischer Unterstützung, Gesicht nach unten und isoliert von allen vertrauten menschlichen Kontakten behandelt. Diese Menschen haben keine Mitsprache mehr. Sie werden gelebt bis sie gesunden oder sterben.

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lebensrettende Intensivbehandlung im Spital (Bild via NZZ)

In einer Patientenverfügung können Menschen zum voraus bestimmen, ob sie im Falle eines solchen Krankheitsverlaufs bestimmte medizinische und technische Mittel in Anspruch nehmen wollen, falls sie nicht mehr bewusst entscheidungsfähig sein werden. Sie können auch bestimmen, dass sie in einer derart kritischen Situation beste Palliativmedizin in Anspruch nehmen wollen. Aus beiden Gruppen werden die einen weiter leben, andere sterben.

In einer Patientenverfügung können Menschen auch bestimmen, was ihnen wichtig ist. Mir ist es wichtig, dass ich jemanden in einer kritischen Situation zu meiner Seite habe. Das heisst während der Pandemie, dass ich keine Spitalbehandlung in Anspruch nehmen will, weil dort Besucher ausgeschlossen sind. Das heisst, dass ich durch den Hausarzt und die ambulanten Dienste medizinisch betreut werden will und so meinem Willen entsprechend umsorgt werden kann bis ich genese oder sterbe. 

Die Entscheidung über Leben oder Tod liegt sowieso nicht in der Kompetenz von Fachleuten und Institutionen. Das entscheidet das Leben, das aus meiner Sicht in einem göttlichen Grossen Ganzen eingebettet ist.

Mit dem Vorsorgeauftrag kann ich in guten Zeiten bestimmen, welche Person oder welche Personen für mich weiter Entscheidungen treffen, falls ich dazu nicht mehr in der Lage sein werde. Wenn ich sediert an einer Maschine hänge, müssen weiterhin Rechnungen bezahlt (Vermögenssorge), allenfalls Verträge abgeschlossen (Rechtsverkehr) werden. Und jemand wird zuständig sein müssen für die Fürsorge in persönlichen Angelegenheiten des Betroffenen. Dazu gehört auch die Gesundheitssorge sowie Hilfestellungen im Alltag.

Wer dafür in guten Zeiten für die Finanzsorge und den Rechtsverkehr eine Vollmacht erstellt hat, kann sich vorerst entspannen. Diese bleibt rechtskräftig bis zum Tod (oder bis zur Urteilsunfähigkeit). Ein klar formulierter Vorsorgeauftrag oder eine rechtsgültige Vollmacht über den Tod hinaus können verhindern, dass Behörden durch die KESB entsprechende Massnahmen ergreifen.

Es ist wichtig und richtig, dass wir uns im Klaren werden, was wir möchten. Und es ist notwenig, dass wir das im Dialog mit Menschen unseres Vertrauens teilen. Und es ist notwenig, dass wir das in einer Form festhalten, die auch von Institutionen akzeptiert ist und eingefordert werden kann.

Im Anbetracht der beschränkten Kapazitäten und Kräfte in Zeiten der Pandemie ist es umso wichtiger, schwierige Entscheidungen rechtzeitig selber zu entscheiden. Das zeigt auch die soeben ergänzten Richtlinien für ärztliches Personal, das oft in kritischen Situationen mit schwerwiegenden Entscheidungen auf sich selbst gestellt bleibt.

“Die SAMW (Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften) betont, es sei wichtig, mit allen Patienten, die dazu in der Lage seien, deren Willen für allfällige Komplikationen zu klären.  Konkret heisst das, dass jede und jeder von uns sich schon jetzt Gedanken darüber machen müsste, welche Behandlung im Ernstfall und bei knappen Ressourcen noch durchgeführt werden soll. Etwa, ob reanimiert oder künstlich beatmet werden soll. Verzichten die Ärzte im Rahmen einer Triage auf intensivmedizinische Massnahmen, so muss eine umfassende palliative Pflege gewährleistet sein. Auch das hält die SAMW-Richtlinie ausdrücklich fest. “ NZZ, 21. 03. 2020

Lassen sie sich beraten, schieben sie die wertvollen Überlegungen und Diskussionen mit sich selbst und den Menschen, denen sie vertrauen, nicht weiter auf. Auch der Verein Tenna Hospiz (tennahospiz.ch) ist bereit, Menschen in seinem Umfeld zu beraten und mit ihnen die gewünschten Formulierungen von Patientenverfügung und Vorsorgeauftrag zu finden. Kontaktieren sie uns.

Kolonialismus: Ewige Qualen?

 

Tantalus Butte – ein Wahrzeichen in Carmacks, Yukon. Es ist nach einer mythologischen Figur aus dem antiken Griechenland benannt.

Tantalos war vor allem für seine ewige Bestrafung bekannt. Er musste in einem Wasserbecken unter einem Obstbaum mit niedrigen Zweigen stehen, wobei die Früchte sich seinem Zugriff immer entzogen und das Wasser immer zurückging, bevor er etwas trinken konnte.

Was für ein Omen.

Historisch gesehen war es Frederick Schwatka, der “In A Summer in Alaska” (1893) beschreibt:

In der Gegend um die Mündung des Flusses Nordenskiöld war direkt vor unserem Floß nicht weniger als sieben Mal eine auffällige kahle Stelle zu sehen, und zwar auf ebenso vielen verschiedenen Flussabschnitten. Ich nannte ihn Tantalus Butte und war froh genug, ihn aus dem Blickfeld verschwinden zu sehen. 

Für Stammesangehörige der Northern Tutchone war er als Gun Tthi bekannt, was soviel wie “Wurmberg” bedeutet. Sie glaubten, dass ein riesiger Wurm mit Augen wie die Sonne auf dem Hügel lebte, und wenn sie beim Vorbeifahren auf dem Fluss zu viel Lärm machten, würde der Wurm einen großen Wind verursachen, der ihr Boot umkippen würde.

Und die Boote in Carmacks sind immer noch durcheinander. Viele der Menschen stehen in einem Becken mit klarem Wasser unter einem reichlich gefüllten Obstbaum mit niedrigen Ästen – und das gute Leben scheint nicht in Reichweite zu sein.

Der Junge, den ich regelmässig mit dem Schulbus von der benachbarten Einfahrt abholte: Er ist des vorsätzlichen Mordes angeklagt. Das Mädchen, das mir als Busfahrer mit einer Mischung aus Verachtung und Achtung begegnete – immer gut für ein Wortgefecht und dankbar für den zusätzlichen Service, wenn sie zu spät kam – starb als junge Frau auf einem Rettungsflug unter fragwürdigen Umständen. Ein Mann in meinem Alter, Sohn des Stammesältesten, der mich in den Stamm adoptieren wollte, verschwand wegen einer Flasche Schnaps: er wurde erstochen und im mächtigen Yukon River entsorgt.

Als ich als Teil der Ehrengarde bei der Zeremonie zur Unterzeichnung des Selbstverwaltungsabkommens zwischen der britischen Krone und der Little Salmon Carmacks First Nation stand – gekleidet in einen nagelneuen gelben Overall eines EFF (freiwilliger Waldbrandbekämpfer), der mir schließlich meinen indianischen Namen Tsüne Cho (“Bibo – Big Bird”) gab – hatte ich den Eindruck, dass die Gemeinde Carmacks auf dem Weg der Heilung war. Die Menschen machten sich auf eine gemeinsame Reise für eine bessere Zukunft (“Heute gemeinsam für unsere Kinder von morgen”, wie 1973 die Forderung nach Selbstverwaltung der Indianerstämme im Yukon betitelt war).

Der Schwerpunkt lag auf der Gemeindeentwicklung, auf der Aufbau der Selbstverwaltung, auf der Übernahme der Kontrolle über das Leben der indigenen Menschen nach einer langen Zeit der Kolonialisierung und der Bevormundung durch die staatlichen Behörden. Ich hatte den Eindruck, dass die Würmer des Alkohols und der Drogen und der Gewalt wieder in die brennenden Minenschächte von Coal Mine Hill und Tantalus Butte zurück krochen.

Jetzt, mehr als zwanzig Jahre später, und aus der Ferne, spüre ich, dass der Fluch der ewigen Qualen für das Volk der Northern Tutchone von Carmacks noch nicht gebrochen ist. Es ist traurig, von gewaltsamen Todesfällen, Kriminalität und mangelnder Verbesserung der interkulturellen Beziehungen zwischen den Vertretern des britischen Empire, der Mainstream-Kultur und der indigenen Bevölkerung zu lesen. Als Teil meiner eigenen Forschung über die Schönheit und die Herausforderungen der Arbeit mit indigenen Gemeinden bin ich zu dem Schluss gekommen, dass es großer Anstrengungen bedarf, um mit den kolonialen Hinterlassenschaften und der genozidalen Politik, die die Beziehung zwischen den “verdammten Weißen” und den “betrunkenen Indianern” geprägt hat, Frieden zu schließen.

Wenn ich die Berichterstattung über die jüngsten rechtsmedizinischen Untersuchungen  und die Strafgerichtsverfahren lese, an denen Menschen beteiligt waren, die ich als Nachbarn in einer kleinen Gemeinde mit grossem Potenzial an den Ufern des Yukon und des Nordenskjold Rivers kennen gelernt habe, spüre ich, dass der Krieg noch immer andauert: Das Gesundheitspersonal wird beschuldigt, nicht das (medizinisch) Richtige zu tun; die Gemeindemitglieder üben wenig Kontrolle über ihren weniger-als-gesundheitsfördernden Lebensstil aus, erwarten aber vom kolonialen Gesundheitssystem ein magisches Heilmittel für die resultierenden Leiden; die Regierung des Yukon hat noch nicht einmal den Erhalt der Empfehlungen aus meiner eigenen Forschung für kleine politische Änderungen bestätigt, die die interkulturelle Beziehung verbessern und die kulturelle Sicherheit bei der Arbeit mit indigenen Gemeinden erhöhen könnten.

Es spielt keine Rolle, ob der markante Hügel in der Nähe von Carmacks mit seinem kolonialen oder seinem indigenen Namen bezeichnet wird: Beide Namen stehen für die Zwangslage einer Gemeinschaft, die sich auf vielen Ebenen nach Heilung sehnt um damit die Flüche des kolonialen Erbes zu brechen.

weiterführende Literatur:

Arnold, O. F. (2012). Reconsidering the “NO SHOW” Stamp: Increasing Cultural Safety by Making Peace with a Colonial Legacy. Northern Review, (36), 77-96. Retrieved from https://thenorthernreview.ca/index.php/nr/article/view/259

Arnold, O. F., & Bruce, A. (2005). Nursing practice with Aboriginal communities: Expanding worldviews. Nursing Science Quarterly, 18(3), 259–263. https://doi.org/10.1177/0894318405277632

Arnold, O. F. (2005). Nursing with indigenous communities: The question of membership. Retrieved from https://ofradix.net/2012/11/21/nursing-with-indigenous-communities-the-question-of-membership/

Arnold, O. F. (2004). Working in Aboriginal communities: What kind of health are we promoting? Retrieved from https://ofradix.net/2017/09/14/working-in-aboriginal-communities-what-kind-of-health-are-we-promoting/

für Zeitungsartikel der Yukon News zum Geschehen in Carmacks (gute und andere Neuigkeiten):

https://www.yukon-news.com/search/?cx=015619971846971042401%3Aufh1ywe-cms&ie=UTF-8&q=carmacks

Quelle für die historischen Hinweise zum Tantalus Butte: http://www.explorenorth.com/library/mining/tantaluscoal.html

Colonialism: Eternal punishment?

Tantalus Butte – a landmark in Carmacks, Yukon. It is named after a mythological figure from ancient Greece.

Tantalus was most famous for his eternal punishment. He was made to stand in a pool of water beneath a fruit tree with low branches, with the fruit ever eluding his grasp, and the water always receding before he could take a drink.

What an omen.

Historically, it was Frederick Schwatka who describes “In A Summer in Alaska” (1893):

In the region about the mouth of the Nordenskiöld River a conspicuous bald butte could be seen directly in front of our raft no less than seven times, on as many different stretches of the river. I called it Tantalus Butte, and was glad enough to see it disappear from sight. 

To the Northern Tutchone people, it was known as Gun Tthi, which means ‘worm hill’. They believed that a giant worm with eyes like the sun lived in the hill, and if they made too much noise while passing by on the river, the worm would cause a big wind that would upset their boat.

And the boats in Carmacks are still upset. Many of the people stand in a pool of clear water under an abundantly filled fruit tree with low branches – and the good life does not seem within reach.

The boy I used to regularly pick up with the school bus from the neighbouring driveway: accused of first degree murder. The girl that met me as the bus driver with a mix of contempt and regard – always good for a verbal fight and thankful for the extra service when running late – died as a young woman on a medevac flight under disputable circumstances. A man my age, son of the elder who wanted to adopt me into the First Nation, vanished for a bottle of booze: stabbed to death and disposed off in the mighty Yukon River.

When I stood as part of the honour guard at the ceremony for the signing of the self-government agreement between the British Crown and the Little Salmon Carmacks First Nation – dressed in a brand-new yellow jumpsuit of an EFF (emergency fire fighter), which eventually gave me my Indian name Tsüne Cho (“Big Bird”) – I became the impression that the community of Carmacks was on a healing way. The people embarked on a journey together for a brighter future (“Together Today for our Children Tomorrow”).

There was a strong focus on community development, on establishing self government, on taking control of indigenous peoples’ lives after a long period of colonization and paternalism by the state authorities. I had the impression that the worms of booze and drugs and violence started to crawl back into the burning mine shafts at Coal Mine Hill and Tantalus Butte.

Now, more than twenty years later, and from a distance, I sense that the curse of eternal punishment for the Northern Tutchone people of Carmacks is not broken yet. It is saddening to read of violent deaths, crime, and lack of improvement in the intercultural relationship between the representatives of the British Empire, the mainstream culture, and the indigenous people. As part of my own research into the beauty and challenges of working with indigenous communities, I concluded that it will take much effort to make peace with the colonial legacies and the genocidal policies that shaped the relationship between the “fuckin’ White man” and the “drunk Indian”.

Reading the news coverage of the latest coroner’s inquests and criminal court trials, involving people I got to know as neighbours in a small community with great potential on the banks of the Yukon and Nordenskjold Rivers, I sense that the war is still on: Health care staff are being accused of not doing the right (medical) thing; community members take little control of their less-than-health-promoting lifestyles but expecting a magic cure for their ills from the colonial health care system; the government of the Yukon has not even yet acknowledged the receipt of the recommendations from my own research for small policy changes that could improve the intercultural relationship and increase the cultural safety when working with indigenous communities.

It does not matter, whether the landmark hill near Carmacks is referred to by its colonial or its indigenous name: both names represent a predicament for a community that is longing deeply for healing at many levels, thus breaking the curses of the colonial legacy.

References:

Arnold, O. F. (2012). Reconsidering the “NO SHOW” Stamp: Increasing Cultural Safety by Making Peace with a Colonial Legacy. Northern Review, (36), 77-96. Retrieved from https://thenorthernreview.ca/index.php/nr/article/view/259

Arnold, O. F., & Bruce, A. (2005). Nursing practice with Aboriginal communities: Expanding worldviews. Nursing Science Quarterly, 18(3), 259–263. https://doi.org/10.1177/0894318405277632

Arnold, O. F. (2005). Nursing with indigenous communities: The question of membership. Retrieved from https://ofradix.net/2012/11/21/nursing-with-indigenous-communities-the-question-of-membership/

Arnold, O. F. (2004). Working in Aboriginal communities: What kind of health are we promoting? Retrieved from https://ofradix.net/2017/09/14/working-in-aboriginal-communities-what-kind-of-health-are-we-promoting/

for Yukon News coverage on Carmacks (good news and other news):

https://www.yukon-news.com/search/?cx=015619971846971042401%3Aufh1ywe-cms&ie=UTF-8&q=carmacks

for historical context on Tantalus Butte: http://www.explorenorth.com/library/mining/tantaluscoal.html

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“The plain fact is that the planet does not need more successful people. But it does desperately need more peacemakers, healers, restorers, storytellers, and lovers of every kind. It needs people who live well in their places. It needs people of moral courage willing to join the fight to make the world habitable and humane. And these qualities have little to do with success as we have defined it.”

(This quote is actually from environmental scientist David Orr’s book Ecological Literacy: Educating Our Children for a Sustainable World.)

Erinnerungen an Rolf Deck

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Ferdinand der Ziegenbock, Tenna 1987

Die Welt ist eine Kleine.

Gestern sitze ich auf der Terrasse beim Hotel Alpenblick und unterhalte ich mich mit zwei Bekannten. Irgendwie kommen wir ins Gespräch über einen tragischen Unfall auf einem Landwirtschaftsbetrieb in der Region. “Dä hesch du viellecht au könnt” meinte mein Gesprächspartner.

Mein Gesprächspartner war mehrere Male im Einsatz und auf Besuch auf dem besagten Betrieb und hatte dort im Gespräch über längst vergangene Zeiten gehört, als die betroffene Familie im Safiental lebte.

Ja, Mitte der 80er Jahre haben Rolf und Iris, mit Kleinkind Amos und dem Hund Galadriel auf meinem Bergheimat Hof in Tenna gelebt und gearbeitet. Rolf zeigte ein starkes Interesse an der Ziegenhaltung. Wir teilten uns das Troghus, philosophierten und diskutierten über das Leben und die Gesellschaft, in der wir uns doch eher am Rande fühlten. Wir fanden nicht genügend Gemeinsamkeiten, um einen Lebensentwurf mit Hofgemeinschaft aufzubauen. Dafür hat es auch an der Rechtssicherheit des Pachtvertrages als wirtschaftliche Grundlage gemangelt.

Rolf und Iris haben als junge Familie ihren Weg gefunden. Rolf hat die Geschichte im Jahr 2006 öffentlich erzählt. Interview mit Rolf Deck aus der Sendung ‘Porträt’ des Senders Life Channel. Nach der 28. Minute kommen die Interview Partner auf die Zeit und Erlebnisse in Tenna, inklusive deren Bedeutung für den Lebensweg von Rolf, zu sprechen.

Mein Weg führte auch von Tenna weg und dann über verschiedene Stationen und Kontinente wieder zurück ins Safiental. Nach 32 Jahren kreuzen sich die beiden Lebensgeschichten wieder, auf der Terrasse vor dem Hotel Alpenblick.

Ein kleine Welt! Und wir haben manchmal dennoch keine Ahnung davon, wie stark der persönliche Bezug ist auf eine Kurznachricht, die einem ins Auge springt und die man beiläufig liest.

Ich wünsche der Familie viel Kraft für den weiteren Weg ohne Rolf.

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Remembering Rolf Deck

It is a small world.

Yesterday I casually got into a conversation about a tragic accident on a farm in this region. It turned out, that the farmer killed was Rolf, with whom I worked more than thirty years ago here in Tenna.

Rolf and Iris, together with baby Amos and dog Galadriel spent a winter in Tenna. We shared a house and the farm work. He had a keen interest in goat husbandry. And we spent many hours talking about life and the society we were embedded in. We were looking for alternatives. However, there were not sufficient commonalities to go a shared path. And the economic footing for such a vision was lacking as well.

Rolf and Iris found a way for the young family. In 2006, Rolf told his life story on radio to Life Channel; the interview in German is available at the above link.

I remember Rolf well, and I wish the family much strength to continue their way without him!

Donkey Cart of the Hospice Movement in Switzerland

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On the way to Finisterre (photo credit: Urs & Elisabeth Bläsi)

The project “Old Cheese Dairy” in Tenna, Switzerland, by the Tenna Hospice Association, is becoming a state of the art building with barrier-free accommodation, purpose built for good care for the ageing, dementia and palliative care. However, this privat project is viewed by professionals just like a donkey cart on its journey to the end of the earth.

The project “Old Cheese Dairy” originated from a personal concern as a civil society initiative. It implements in a remote mountain region what dozens of expert position papers and national strategies call for: good care for the ageing, affordable and barrier-free housing, self-determined living to the very last day, and a reduction of the rising cost in health and social services.

The project works with an innovative concept of a synthesis of stationary and ambulatory hospice, nursing and care services. It builds on long-standing social and cultural structures and traditions that continue to exist in the Safien Valley. It collaborates with existing regional services (i.e. home care, ambulatory palliative care), which are being strengthend; it avoids costly competing services and infrastructure.

The core idea of the project “Old Cheese Dairy” is to support the affected people and their family caregivers according to their respective needs and in coordination with professional services. Private and volunteer care and assistance are not being replaced by professional services; they will be recognized, supported and extended. A communal living arrangement is the lived expression of this integrative thinking: each family is an example of such a service model.

The Tenna Hospice Association still needs about half a million Swiss Francs to complete the construction of the building. That is an equivalent to what the next national congress on a topic in health and social service will cost. There, about 400 people will continue to discuss the next steps in best practices for the ageing, dementia or health care. And they will predictably conclude that more money will be needed from an already cash-strapped purse.

The Tenna Hospice Association accepts donations for a concrete solution to accommodate and care for human beings on their last stretch of life in a dignifying way. More info  at tennahospiz.ch. Thank you!

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Model of the “Old Cheese Dairy” – special care place for the last stretch of life – in Tenna, Switzerland (photo credit:  Tenna Hospice Association)

Einachser der Hospizbewegung in der Schweiz

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Auf dem Weg nach Finisterre (photo credit: Urs & Elisabeth Bläsi)

Das Projekt “Alte Sennerei” in Tenna, Gemeinde Safiental, des Vereins Tenna Hospiz wird ein hochmodernes Gebäude mit hindernisfreiem und pflegegerechtem Wohnraum für gute Betreuung im Alter, Demenzpflege und Palliative Care. Und doch wird das private Projekt in Fachkreisen gerne betrachtet wie der Einachser auf dem Weg zum Ende der Erde.

Das Projekt “Alte Sennerei” ist aus persönlicher Betroffenheit als zivilgesellschaftliche Initiative entstanden. Es schafft im abgelegenen Bergtal, was dutzende von Positionspapieren und Strategien auf nationaler Ebene fordern: gute Betreuung im Alter, erschwinglicher Wohnraum ohne Hindernisse, selbstbestimmtes Leben bis zum letzten Tag, und eine Reduktion der Kosten im Gesundheits- und Sozialwesen.

Das Projekt arbeitet mit einem innovativen Konzept der Synthese von stationärem und ambulantem Hospiz-, Pflege- und Betreuungsangebot. Diese baut auf den gewachsenen sozialen und kulturellen Strukturen und Traditionen auf, die im Safiental lebendig sind. Bestehende regionale Ressourcen (Spitex, Palliativer Brückendienst etc.) werden genutzt und gestärkt, ohne kostspielige Parallel-Dienstleistungen und Infrastruktur (Konkurrenz) zu schaffen.

Der Kerngedanke des Projektes “Alte Sennerei” ist, die Betroffenen und deren pflegenden Angehörigen, gemäss den jeweiligen Bedürfnissen, koordiniert zu unterstützen. Es geht nicht darum, die privaten und freiwilligen Leistungen mit professionellen und spezialisierten Fachkräften zu ersetzen, sondern diese zu ergänzen und anzuerkennen. Die Wohngemeinschaft ist der gelebte Ausdruck dieses integrativen Denkens: denn jede Familie ist ein solches Versorgungsmodell.

Für die Verwirklichung des Bauprojektes benötigt der Verein Tenna Hospiz noch circa eine halbe Million Franken. Das ist ungefähr so viel wie die nächste Fachtagung in Alters-, Demenz- oder Gesundheitsfragen auf nationale Ebene kosten wird, wo 400 Spezialisten weiter beraten, was der Weg sein könnte, um die brennenden Fragen in der bekanntlich verbesserungsfähigen Fachversorgung einer wachsenden Bevölkerungsgruppe zu lösen. Und sie werden vorhersehbar alle zum Schluss kommen: “Wer soll das bezahlen?” und eine weitere Konferenz einberufen.

Der Verein Tenna Hospiz hat ein Spendenkonto bei der Freien Gemeinschaftsbank in 4002 Basel, IBAN CH82 0839 2000 1534 4630 7 (Verein Tenna Hospiz, 7106 Tenna). Ihr Beitrag schafft konkrete Lösungen auf Jahre hinaus für Mitmenschen jeden Alters in ihrem letzten Lebensabschnitt.

Danke!

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“Alte Sennerei”, Tenna – pflegegerechter Wohnraum für den letzten Lebensabschnitt (photo credit: Verein Tenna Hospiz)

Veni Creator Spiritus

Pfingsten – Pentecost – Whitsun Sunday

Gregorianischer Pfingstgesang ‘Veni Creator Spiritus’ (Rabano Mauro, 9. Jh.) gesungen anlässlich der SonntagsStille, Pfingsten, 20. Mai 2018 von Othmar Ferdinand Arnold in der Kirche Tenna, Schweiz

Gregorian Chant by Rubano Mauro (9th cent.) ‘Veni Creator Spiritus’, sung by Othmar Ferdinand Arnold on Whitsun Sunday 2018 in the church of Tenna, Switzerland.

Pfingsten ist im Kirchenjahr ein Festtag der alle Menschen, alle Gläubigen daran erinnert, dass alle einen göttlichen Auftrag haben im Leben. Dieser Leistungsauftrag verlangt von einem jeden Menschen, Feuer und Flamme zu sein für das, woran er oder sie als Einzelne und als Gemeinschaft glauben, für unsere tiefsten Überzeugungen.

Aus kirchlicher Sicht wird dieser Auftrag in der Verkündigung der biblischen Botschaft wahrgenommen. Für andere Menschen geschieht diese Verkündigung durch ein achtsames Leben im Dienste der Nächsten: “Predige die frohe Botschaft immerzu – im Notfall brauche auch Worte”, ein Zitat, das Franz von Assisi zugesprochen wird.

Das Pfingstfest erinnert uns auch daran dass wir als Menschen trotz aller Diversität unzertrennlich zusammengehören, uns verstehen können, und einen gemeinsamen göttlichen Auftrag haben.

Pentecost is a feast day that reminds all people, all believers, that we do have a spiritual mission in life. This divine service order calls every person to be a fiery witness for their faith, for their deepest convictions, as individuals as well as a community.

From the church’s point of view, this mission is fulfilled in the proclamation of the biblical message. For other people this proclamation is made through a mindful life in the service of one’s neighbor: “Preach the good news all the time – in an emergency also need words”, a quotation attributed to Francis of Assisi.

Keine Abfertigungshalle für die Ewigkeit

Project per ina chasa da tgira «Alte Sennerei»

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Radio RTR hat am letzten Freitag einen Beitrag über das Projekt “Alte Sennerei” in Tenna auf romanisch ausgestrahlt. Damit können wir die regionale Bevölkerung über Kultur- und Sprachgrenzen hinweg erreichen.

Hier geht es zum Beitrag Project per ina chasa da tgira «Alte Sennerei»

Please follow the link above to hear a story about the Tenna Hospice project in Romansh language which is still spoken widely in the Surselva region. Tenna is located in a German speaking valley, however many regional services operate in this intercultural environment with divers cultures and languages.