Demut – Humility

credit Thomas Feldmann

Demut – eine gegenkulturelle Perspektive und transformative Kraft.

Ich erkenne mich als Teil von etwas Grösserem, freiwillig und selbstbestimmt. Klein und zugleich wertvoll.

Dennoch ist kein Mensch und kein Ort zu klein um Grosses zu bewirken: Video Link

“Ich weiss, dass ich nichts weiss” (Sokrates). Nicht jede/r, die/er zwei Artikel im Internet über eine Sache gelesen hat, sollte sich dann auf Social Media als Experte zum Thema ergiessen. Da mangelt es an intellektueller Demut.
Positiv gesprochen, geht es um eine realistische Selbsteinschätzung und darum, immer lernfähig zu sein! (Godehard Brüntrup)

Immanuel Kant hielt Demut für ein Gefühl, das sich mit der Einsicht in die Begrenztheit unserer moralischen Vermögen einstellt. (NZZ)

Ein weiterer Aspekt der Demut bezieht sich auf den Umgang mit anderen Menschen. Bin ich offen für Neues, oder habe ich vorgefasste Meinungen und die anderen können nur im Lichte dieser Meinung erscheinen? (Brüntrup)

Demut ist lernbar – und sie überwindet Mut und Hochmut! Nicht aber den Mut zum Dienen.

Demut schafft Freiheit.

Ich kann mich von allem Überflüssigen im Leben befreien. Ich kann auch loslassen, was mich von der erfüllten Beziehung zum Selbst, zu Anderen und zum Göttlichen trennt (Kate McNally).

Denn, Demut schafft die Voraussetzung für die Überwindung des eigenen Narzissmus. Es glauben doch viele, dass das, was sie sind und erreicht haben, das hätten sie selbst erschaffen. Ohne das Grosse Ganze.

Demut in diesem Sinne ist eine Haltung, die das Leben sieht, wie es ist; eine Haltung, die darum weiß, dass Leben Sterben-müssen bedeutet. (Dienberg)

Demut ist also eine Überlebensfrage.

Auch wenn alles andere viel mehr Spass zu machen scheint 🙄 .


Herzlichen Dank für die Inspiration zum Thema: @cap! Magazin der Kapuziner https://www.kapuziner.org/wp-content/uploads/2023/12/cap_Winter-2023.pdf

Humility – a counter-cultural perspective and transformative power.

I recognise myself as part of something bigger, voluntary and self-determined. Small and valuable at the same time.

Nevertheless, no person and no place is too small to achieve great things: Linked Video

“I know that I know nothing” (Socrates). Not just anyone who has read two articles on the Internet about something should then pour themselves out on social media as an expert on the subject. There is a lack of intellectual humility.
On a positive note, it’s about realistic self-assessment and always being able to learn! (Godehard Brüntrup)

Immanuel Kant considered humility to be a feeling that arises when we realise the limitations of our moral capacities. (NZZ)

Another aspect of humility relates to our dealings with other people. Am I open to new ideas, or do I have preconceived opinions and others can only appear in the light of these opinions? (Brüntrup)

Humility can be learnt – and it overcomes courage and arrogance! But not the courage to serve.

Humility creates freedom.

I can free myself from everything superfluous in life. I can also let go of what separates me from a fulfilling relationship with myself, with others and with the divine (Kate McNally).

Humility is the prerequisite for overcoming one’s own narcissism. Many people believe that what they are and have achieved is something they created themselves. Without the big picture.

Humility creates freedom.

Humility in this sense is an attitude that sees life as it is; an attitude that recognises that life means having to die. (Dienberg)

Humility is therefore a question of survival.

Even if everything else seems to be much more fun 🙄 .

Many thanks for the inspiration on this topic: @cap! Magazine of the Capuchins

Herzenswanderung

„Verzage nicht: Der Stern ist da und leuchtet. […] Die sehnsüchtige Unruhe treibt. […] Brich auf, mein Herz, und wandre!“

„Siehe, die Weisen haben sich aufgemacht. […] Sie werden ihr kühnes Herz selbst ein wenig gefürchtet haben […]. Aber das Herz ist stark und selig mutig. Sie gehorchen ihm und gehen. Und plötzlich, als sie die Heimat hinter sich gelassen haben, wird ihr Herz leicht, wie das Herz eines, der alles gewagt hat und mutiger ist, als man eigentlich […] sein kann. Sie gehen verschlungene Pfade, aber vor Gottes Augen ist es der gerade Weg zu ihm […].“

„Brich auf, mein Herz, und wandre! Es leuchtet der Stern. Viel kannst Du nicht mitnehmen auf dem Weg. Und viel geht dir unterwegs verloren.“

(Aus: Karl Rahner, Kleines Kirchenjahr. Ein Gang durch den Festkreis, Freiburg/Br. 1981, 39-42)

Diese Reflexion zum Jahresende beschreibt die Dynamik, aus der heraus das Projekt Tenna Hospiz entstanden ist: Am Anfang war ein Traum, ein Stern der leuchtete. Doch selbst das kühne Herz fürchtete sich.

Es brauchte dann eine Auszeit um den Auftrag wahrzunehmen, einen solchen Traum nicht nur zu träumen, sondern auch umzusetzen. Ich gehorchte ihm, und ging.

Heute kann ich sagen, dass mein Herz leicht wurde und dass ich immer noch verschlungene Pfade gehen muss. Doch der Weg führt zum Ziel, der Traum wurde Wirklichkeit.

Viel kann (und will) ich nicht mitnehmen. Und vieles ist unterwegs auch verloren gegangen. Doch, ich sehe auch Hinweise für den geraden Weg.

Brich auf mein Herz und wandere fortan.

Kaffee, Kuchen und Spiritualität

Es braucht drei Elemente zum Erfolg im Leben:

etwas das anregt – etwas das erhält – und etwas das nährt!

.

Hier die perfekte Illustration dazu aus meiner “Stillen Zeit” im Kloster bei den Kapuzinern in Rapperswil!

Natürlich stimmt das auch heute noch im Alltag der Pflege-Wohngemeinschaft “Alte Sennerei” im Tenna Hospiz.

etwas das anregt (das humorvolle Unerwartete) – etwas das erhält (Torte und Wein) – und etwas das nährt (Beziehung)!

Neue Gemeinschaften braucht das Land.

Wohngemeinschaft für den letzten Lebensabschnitt im Tenna Hospiz (photo credit: Ruben Weber)

for an English version, see below

Ich habe seit meinen Teenage Jahren ein Interesse am Leben in Gemeinschaft, aus spirituellen und politischen Gründen. Deshalb ist mir die Auseinandersetzung um die Weiterführung des Klosters Wonnenstein aufgefallen. Als fernab lebender Laie erkenne ich in diesem Spiel um Macht und Einfluss dieselben Mechanismen, die mich bewegt haben, 1979 aus der katholischen Landeskirche auszutreten: Eine Kirchgemeindeversammlung hörte sich an wie die GV einer Immobilienfirma.

Kathrin Klette stellt im Artikel “Die rebellische Nonne vom Kloster Wonnenstein” (NZZ, 23. April 2023) die Frage, welche Funktionen ein Kloster heute noch habe. Alle genannten Nutzungsvorschläge entspringen einer romantisierenden Vorstellung oder einer ausbeuterischen Absicht gegen die spirituellen Kräfte des Ortes. Und dem Geld verdienen. Klostergemeinschaften hatten zum Ziel – zum Wohle aller – Kraft aus dem Dialog mit dem Göttlichen zu schöpfen – nicht abzuschöpfen. Die assoziierten Missbräuche durch die Kirchen sind hinlänglich bekannt – vom Ablasshandel bis zur Gratisarbeit.

Ich bin weiterhin überzeugt, dass ein Leben in Gemeinschaft ein Lebensentwurf ist für die heutige Zeit. Eine kirchliche Institution braucht es dazu nicht. Etwas Glauben jedoch schon.

Dass dieser Wunsch gegenläufig ist zum Zeitgeist, zeigen die Schwierigkeiten für die Besetzung einer zivilgesellschaftlichen Wohn- und Arbeitsgemeinschaft für den letzten Lebensabschnitt im Safiental: Die Form (Idee) spricht viele an, doch das hyper-individualistische Leben im Überfluss eintauschen für eine sinnstiftende Beteiligung und für die Überwindung der eigenen existentiellen Einsamkeit kann sich kaum jemand aktiv vorstellen. 

Ich wünsche der verbleibenden Schwester ihren Weg mit Gott zu gehen – die Liegenschaften werden dann schon gewinnbringend verteilt. Allen andern wünsche ich den Mut, sich von der chronischen Affluenza zu befreien.

Als Leserbrief in der Print Ausgabe der Neuen Zürcher Zeitung vom 28. April 2023 veröffentlicht

In English:

New Communities are Needed

I have had an interest in communal living since my teens, for spiritual and political reasons.That’s why the controversy over the continuation of the Wonnenstein monastery caught my attention. As a layman living far away, I recognize in this game of power and influence the same mechanisms that moved me to leave the national Catholic church in 1979: A parish meeting sounded like the AGM of a real estate company.

In the article “Die rebellische Nonne vom Kloster Wonnenstein” (NZZ, April 23, 2023), Kathrin Klette asks what functions a monastery still has today. All of the mentioned suggestions spring from a romanticizing notion or an exploitative intention against the spiritual forces of the place. And to make money. Monastic communities had as their goal – for the common good – to draw strength from a dialogue with the divine – not to siphon it off. The associated abuses by the churches are well known – from selling indulgences to unpaid labor.

I remain convinced that living in community is a way of life for today. A church institution is not needed for this. A little faith, however, is.

This wish is contrary to the zeitgeist. This is shown by the difficulties recruiting for of a civil-society initiative with a communal residence for the last phase of life in the Safiental (Switzerland): The form (idea) appeals to many, but hardly anyone can actively imagine to trade their hyper-individualistic life in abundance for a meaningful participation and for overcoming one’s own existential loneliness.

I wish the remaining sister at Wonnenstein to go her way with God – the real estate of her monastery will then readily be distributed for profit. To all others, I wish the courage to free themselves from chronic affluenza.

Ein Quäker quakt…

Ein Quäker quakt…

“Ob ein Quäker den ganzen Tag quakt” wurde ich heute in einer Pilgergaststätte im Schwarzwald gefragt.

Vielleicht schon – denn auch Quäker sind nur Menschen.

Ich hatte die Gelegenheit, am Treffen der deutsch-sprechenden Quäker mich auszutauschen über das Thema ‘Verbundenheit’. Womit fühle ich mich verbunden im Leben? Nach unten – im Sinne einer Verwurzeltheit; nach oben – mit dem Unsagbaren, dem Göttlichen? Oder in die Breite, im Sinne gelebter Gemeinschaft mit meinen Mitmenschen?

Quäkertum zeigt sich nicht in einem Glaubensbekenntnis, sondern im Bemühen, das eigene Leben entsprechend einer spirituellen Erfahrung des „Inneren Lichts“ zu leben. Glaube und Wirken sind untrennbar miteinander verbunden. Entsprechend der Aufforderung „Laßt euer Leben sprechen!“ predigen sie in der Welt nicht mit Worten. (quaeker.org)

Wie ich meinen Glauben im Alltag in Wirken umsetze, und wie ich in der Palliative Care Verbundenheit ausdrücken kann, habe ich im folgenden Artikel versucht zu beschreiben: Palliative Care als Gottes Dienst

Eine spirituelle Verbundenheit braucht kaum Worte, und deshalb ist es allenfalls das Ego, das quakt.

Den Tod geben…

Eine sardische Tradition, die unsere Denkmuster herausfordert!

Ein historischer Holzhammer, als Werkzeug der “Femina Agabbadora” in Sardinien. (photo credit: Museo etnografico Galluras)

Das Museum des Euthanasie-Rituals auf Sardinien Sa femina accabadòra oder femina agabbadòra, sie ist buchstäblich diejenige, die endet. Das sardische Wort “accabbu”, d.h. “Ende”, ist ein Begriff von klarer spanischer Herkunft: “acabar” bedeutet wörtlich “auf den Kopf geben”.

Ein sehr klares Wort durch eine ebenso eloquente Geste: das Ende auf den Kopf zu setzen, ein Akt, der die Funktion dieser mysteriösen und emblematischen Figur unmissverständlich umreißt.

Sie wird in die Furche der Existenz, zwischen Leben und Tod gestellt, aufgrund eines Aspekts, der, gelinde gesagt, an allererster Stelle steht: Sie, die den Tod gab, gab auch das Leben, denn da sie existierte, half sie zu sterben, es gab gegen die Hebamme, die half, geboren zu werden. Und es war genau dieselbe Person. Dieser gegensätzliche und kontrastierende dualistische Aspekt von Leben und Tod würde ausreichen, um auf höfische Weise eines der umstrittensten und undurchdringlichsten Symbole unserer Vergangenheit zu unterscheiden; einer Vergangenheit, die nicht allzu weit zurückliegt.

Um diese Form der archaischen Euthanasie ist in letzter Zeit viel geschrieben und gesagt worden, es wurde viel über die soziale Rolle diskutiert, die dieses ambivalente Symbol hatte, über den Schleier des Schweigens und der Stille, der immer um seinen Namen schwebte, und über den Heiligenschein des Geheimnisses, der diese letzte tödliche Geste immer wieder umhüllte.

Die Grenze zwischen Leben und Tod ist sehr dünn, in dem Moment, in dem der müde und leidende Kranke auf seine Stunde wartet. Aber in all dem steckt etwas Tieferes, Intimeres, Wahrhaftigeres. Diese Frau, wohlgemerkt, hat nicht getötet, sondern den Tod gegeben.

In Luras gibt es einen erstaunlichen Ort, an dem neben vielen interessanten Funden aus der Kultur und Tradition Sardiniens der Hammer de sa femina agabbadòra aufbewahrt wird, das Werkzeug, mit dem dem sterbenden Patienten der begehrte Tod geschenkt wird. Pier Giacomo Pala, Besitzer des Galluras-Museums, in dem der berühmte Hammer aufbewahrt wird, hat dieser Figur dreißig Jahre lang Studien gewidmet und einen Band mit dem Titel – Eine Anthologie der Femina Agabbadora – verfasst, in dem er unter anderem erzählt, wie er diesen unglaublichen Fund entdeckt hat. Diese Geschichte ist vor allem die Geschichte einer jahrelangen, zähen und mühsamen Recherche und einer unglaublichen und unerwarteten Entdeckung. “Ich habe lange, vielleicht zu lange, auf jemanden gewartet, der mir bei der Transkription, Bestellung und Pflege der Materialsammlung hilft, die ich im Laufe der Jahre über die Femina agabbadora finden konnte. Ich wandte mich an Gelehrte und Schriftsteller, aber wenn die Idee nicht von ihnen kam, wurde alles schwieriger oder einfacher, tatsächlich half mir keiner von ihnen”.

aus dem Italienischen übersetzt mit Hilfe von DeepL. Mehr zur Geschichte im Originalartikel:

http://www.sandalyon.eu/ita/articoli/archivio/musei-di-sardegna/lultimo-martello-de-sa-femina-agabbadora__153.html

Schwierige Entscheidungen – selber entscheiden

In Zeiten der Pandemie ist es genau so wichtig wie an jedem normalen Tag, dass jeder Mensch sich im Klaren ist, was er oder sie möchte, falls sie oder er nicht mehr fähig sein wird, selber zu entscheiden. Aus meiner Erfahrung – und ich hatte das während mehrerer Jahre selber praktiziert – schieben viele das Erstellen einer Patientenverfügung und eines Vorsorgeauftrags stetig vor sich her.

Das Wichtigste am Erstellen einer Patientenverfügung und eines Vorsorgeauftrages ist, dass wir uns in guten Zeiten überlegen, was einem persönlich wichtig ist im Leben. Genau so wichtig ist, dass man diese Gedanken und Überlegungen teilt mit den Menschen, denen man vertraut. 

Am Tag, wo wir betroffen werden von ersthafter Krankheit, Gebrechlichkeit oder einem Unfall, kann es zu spät sein, seinen eigenen Willen zu äussern. Deshalb sieht unser Gesetz vor, dass wir vorsorglich festhalten können, was uns wichtig ist und wie gewisse Fragen entschieden werden sollen, falls wir selber nicht mehr fähig sind dazu.

Die Medien sind derzeit voll von Berichten über Menschen, die in kürzester Zeit von leichten Grippesymptomen befallen eine schwere Lungenentzündung und Komplikationen entwickeln. Sie landen auf einer Intensivstation, werden sediert und mit intensivster medizinischer und technischer Unterstützung, Gesicht nach unten und isoliert von allen vertrauten menschlichen Kontakten behandelt. Diese Menschen haben keine Mitsprache mehr. Sie werden gelebt bis sie gesunden oder sterben.

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lebensrettende Intensivbehandlung im Spital (Bild via NZZ)

In einer Patientenverfügung können Menschen zum voraus bestimmen, ob sie im Falle eines solchen Krankheitsverlaufs bestimmte medizinische und technische Mittel in Anspruch nehmen wollen, falls sie nicht mehr bewusst entscheidungsfähig sein werden. Sie können auch bestimmen, dass sie in einer derart kritischen Situation beste Palliativmedizin in Anspruch nehmen wollen. Aus beiden Gruppen werden die einen weiter leben, andere sterben.

In einer Patientenverfügung können Menschen auch bestimmen, was ihnen wichtig ist. Mir ist es wichtig, dass ich jemanden in einer kritischen Situation zu meiner Seite habe. Das heisst während der Pandemie, dass ich keine Spitalbehandlung in Anspruch nehmen will, weil dort Besucher ausgeschlossen sind. Das heisst, dass ich durch den Hausarzt und die ambulanten Dienste medizinisch betreut werden will und so meinem Willen entsprechend umsorgt werden kann bis ich genese oder sterbe. 

Die Entscheidung über Leben oder Tod liegt sowieso nicht in der Kompetenz von Fachleuten und Institutionen. Das entscheidet das Leben, das aus meiner Sicht in einem göttlichen Grossen Ganzen eingebettet ist.

Mit dem Vorsorgeauftrag kann ich in guten Zeiten bestimmen, welche Person oder welche Personen für mich weiter Entscheidungen treffen, falls ich dazu nicht mehr in der Lage sein werde. Wenn ich sediert an einer Maschine hänge, müssen weiterhin Rechnungen bezahlt (Vermögenssorge), allenfalls Verträge abgeschlossen (Rechtsverkehr) werden. Und jemand wird zuständig sein müssen für die Fürsorge in persönlichen Angelegenheiten des Betroffenen. Dazu gehört auch die Gesundheitssorge sowie Hilfestellungen im Alltag.

Wer dafür in guten Zeiten für die Finanzsorge und den Rechtsverkehr eine Vollmacht erstellt hat, kann sich vorerst entspannen. Diese bleibt rechtskräftig bis zum Tod (oder bis zur Urteilsunfähigkeit). Ein klar formulierter Vorsorgeauftrag oder eine rechtsgültige Vollmacht über den Tod hinaus können verhindern, dass Behörden durch die KESB entsprechende Massnahmen ergreifen.

Es ist wichtig und richtig, dass wir uns im Klaren werden, was wir möchten. Und es ist notwenig, dass wir das im Dialog mit Menschen unseres Vertrauens teilen. Und es ist notwenig, dass wir das in einer Form festhalten, die auch von Institutionen akzeptiert ist und eingefordert werden kann.

Im Anbetracht der beschränkten Kapazitäten und Kräfte in Zeiten der Pandemie ist es umso wichtiger, schwierige Entscheidungen rechtzeitig selber zu entscheiden. Das zeigt auch die soeben ergänzten Richtlinien für ärztliches Personal, das oft in kritischen Situationen mit schwerwiegenden Entscheidungen auf sich selbst gestellt bleibt.

“Die SAMW (Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften) betont, es sei wichtig, mit allen Patienten, die dazu in der Lage seien, deren Willen für allfällige Komplikationen zu klären.  Konkret heisst das, dass jede und jeder von uns sich schon jetzt Gedanken darüber machen müsste, welche Behandlung im Ernstfall und bei knappen Ressourcen noch durchgeführt werden soll. Etwa, ob reanimiert oder künstlich beatmet werden soll. Verzichten die Ärzte im Rahmen einer Triage auf intensivmedizinische Massnahmen, so muss eine umfassende palliative Pflege gewährleistet sein. Auch das hält die SAMW-Richtlinie ausdrücklich fest. “ NZZ, 21. 03. 2020

Lassen sie sich beraten, schieben sie die wertvollen Überlegungen und Diskussionen mit sich selbst und den Menschen, denen sie vertrauen, nicht weiter auf. Auch der Verein Tenna Hospiz (tennahospiz.ch) ist bereit, Menschen in seinem Umfeld zu beraten und mit ihnen die gewünschten Formulierungen von Patientenverfügung und Vorsorgeauftrag zu finden. Kontaktieren sie uns.

Im Licht altern

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Am vorigen Wochenende habe ich mich zusammen mit meiner Glaubensgemeinschaft in einer Retraite zum Thema “Scheitern und Resilienz – was macht uns widerstandsfähig in Krisensituationen und was hat Spiritualität damit zu tun?” auseinandergesetzt. Im Rahmen dieses Wochenendes ist auch das obige Bild entstanden. Sich Gedanken zu machen zur Lebensbilanz ist etwas Nachdenkliches, manchmal Schweres, auch sehr Wertvolles. Dabei ist von den Teilnehmenden immer wieder betont worden, wie wert- und sinnvoll das Eingebettet-Sein in eine Form von Gemeinschaft ist. Es fällt uns leichter, die schweren und dunkeln Anteile des Lebens zu tragen, wenn wir genügend Schlaf bekommen, uns regelmässig bewegen und tätig sein können. Und…

Das Scheitern

…das Gegenteil des Scheiterns ist nicht der Erfolg, sondern die Freude, so wie das Gegenteil des Bösen nicht das Gute ist, sondern die SINNHAFTIGKEIT. Mit anderen Worten, die menschliche Existenz wurde nicht als etwas Fröhliches erschaffen, sondern sie wurde zum Zweck der Freude, für die Freude als solche und um Freude zu werden, erschaffen. Das Evangelium setzt dem Bösen, dem Leben im Negativen, dem Scheitern, nicht das Gute, nicht die ideale Existenz und nicht den Erfolg entgegen. Es widersetzt sich ihnen mit – es offeriert uns – SINNHAFTIGKEIT, eine Einladung zur Freude.

(Lytta Basset)

https://tennahospiz.ch/im-licht-altern/

Last weekend I went on a retreat with my congregation on the topic “Failure and resilience – what makes us resistant in crisis situations and what does spirituality have to do with it?” The above picture was taken during this weekend. To reflect on life’s summary is something pensive, sometimes difficult, also very valuable. The participants repeatedly emphasized how valuable and meaningful it is to be embedded in some form of community. It is easier for us to bear the heavy and dark sides of life if we get enough sleep, move regularly and can be active. As well…

Failure

…the opposite of failure is not success but joy, just as the opposite of evil is not good but Meaning. In other words, human existence was not created joyful, it was created for the purpose of joy, for joy itself, for becoming joy. To evil, to negative existence, to failure, the Gospel does not oppose good, ideal existence, or success. It opposes them with – it offers us – Meaning, a vision of joy.

(Lytta Basset)

 

L’échec

(…) le contraire de l’échec n’est pas le succès mais la joie, comme le contraire du mal n’est pas le bien mais le Sens. En d’autres termes, l’existence humaine n’a pas été créée joyeuse, elle a été créée en vue de la joie, pour la joie, en direction de la joie. Au mal, à l’existence au négatif, à l’échec, l’Evangile n’oppose pas le bien, l’existence idéale, la réussite. Il leur oppose, il nous propose un Sens, un en-vue-de la joie.

(Lytta Basset: La joie imprenable, 1996)

Kolonialismus: Ewige Qualen?

 

Tantalus Butte – ein Wahrzeichen in Carmacks, Yukon. Es ist nach einer mythologischen Figur aus dem antiken Griechenland benannt.

Tantalos war vor allem für seine ewige Bestrafung bekannt. Er musste in einem Wasserbecken unter einem Obstbaum mit niedrigen Zweigen stehen, wobei die Früchte sich seinem Zugriff immer entzogen und das Wasser immer zurückging, bevor er etwas trinken konnte.

Was für ein Omen.

Historisch gesehen war es Frederick Schwatka, der “In A Summer in Alaska” (1893) beschreibt:

In der Gegend um die Mündung des Flusses Nordenskiöld war direkt vor unserem Floß nicht weniger als sieben Mal eine auffällige kahle Stelle zu sehen, und zwar auf ebenso vielen verschiedenen Flussabschnitten. Ich nannte ihn Tantalus Butte und war froh genug, ihn aus dem Blickfeld verschwinden zu sehen. 

Für Stammesangehörige der Northern Tutchone war er als Gun Tthi bekannt, was soviel wie “Wurmberg” bedeutet. Sie glaubten, dass ein riesiger Wurm mit Augen wie die Sonne auf dem Hügel lebte, und wenn sie beim Vorbeifahren auf dem Fluss zu viel Lärm machten, würde der Wurm einen großen Wind verursachen, der ihr Boot umkippen würde.

Und die Boote in Carmacks sind immer noch durcheinander. Viele der Menschen stehen in einem Becken mit klarem Wasser unter einem reichlich gefüllten Obstbaum mit niedrigen Ästen – und das gute Leben scheint nicht in Reichweite zu sein.

Der Junge, den ich regelmässig mit dem Schulbus von der benachbarten Einfahrt abholte: Er ist des vorsätzlichen Mordes angeklagt. Das Mädchen, das mir als Busfahrer mit einer Mischung aus Verachtung und Achtung begegnete – immer gut für ein Wortgefecht und dankbar für den zusätzlichen Service, wenn sie zu spät kam – starb als junge Frau auf einem Rettungsflug unter fragwürdigen Umständen. Ein Mann in meinem Alter, Sohn des Stammesältesten, der mich in den Stamm adoptieren wollte, verschwand wegen einer Flasche Schnaps: er wurde erstochen und im mächtigen Yukon River entsorgt.

Als ich als Teil der Ehrengarde bei der Zeremonie zur Unterzeichnung des Selbstverwaltungsabkommens zwischen der britischen Krone und der Little Salmon Carmacks First Nation stand – gekleidet in einen nagelneuen gelben Overall eines EFF (freiwilliger Waldbrandbekämpfer), der mir schließlich meinen indianischen Namen Tsüne Cho (“Bibo – Big Bird”) gab – hatte ich den Eindruck, dass die Gemeinde Carmacks auf dem Weg der Heilung war. Die Menschen machten sich auf eine gemeinsame Reise für eine bessere Zukunft (“Heute gemeinsam für unsere Kinder von morgen”, wie 1973 die Forderung nach Selbstverwaltung der Indianerstämme im Yukon betitelt war).

Der Schwerpunkt lag auf der Gemeindeentwicklung, auf der Aufbau der Selbstverwaltung, auf der Übernahme der Kontrolle über das Leben der indigenen Menschen nach einer langen Zeit der Kolonialisierung und der Bevormundung durch die staatlichen Behörden. Ich hatte den Eindruck, dass die Würmer des Alkohols und der Drogen und der Gewalt wieder in die brennenden Minenschächte von Coal Mine Hill und Tantalus Butte zurück krochen.

Jetzt, mehr als zwanzig Jahre später, und aus der Ferne, spüre ich, dass der Fluch der ewigen Qualen für das Volk der Northern Tutchone von Carmacks noch nicht gebrochen ist. Es ist traurig, von gewaltsamen Todesfällen, Kriminalität und mangelnder Verbesserung der interkulturellen Beziehungen zwischen den Vertretern des britischen Empire, der Mainstream-Kultur und der indigenen Bevölkerung zu lesen. Als Teil meiner eigenen Forschung über die Schönheit und die Herausforderungen der Arbeit mit indigenen Gemeinden bin ich zu dem Schluss gekommen, dass es großer Anstrengungen bedarf, um mit den kolonialen Hinterlassenschaften und der genozidalen Politik, die die Beziehung zwischen den “verdammten Weißen” und den “betrunkenen Indianern” geprägt hat, Frieden zu schließen.

Wenn ich die Berichterstattung über die jüngsten rechtsmedizinischen Untersuchungen  und die Strafgerichtsverfahren lese, an denen Menschen beteiligt waren, die ich als Nachbarn in einer kleinen Gemeinde mit grossem Potenzial an den Ufern des Yukon und des Nordenskjold Rivers kennen gelernt habe, spüre ich, dass der Krieg noch immer andauert: Das Gesundheitspersonal wird beschuldigt, nicht das (medizinisch) Richtige zu tun; die Gemeindemitglieder üben wenig Kontrolle über ihren weniger-als-gesundheitsfördernden Lebensstil aus, erwarten aber vom kolonialen Gesundheitssystem ein magisches Heilmittel für die resultierenden Leiden; die Regierung des Yukon hat noch nicht einmal den Erhalt der Empfehlungen aus meiner eigenen Forschung für kleine politische Änderungen bestätigt, die die interkulturelle Beziehung verbessern und die kulturelle Sicherheit bei der Arbeit mit indigenen Gemeinden erhöhen könnten.

Es spielt keine Rolle, ob der markante Hügel in der Nähe von Carmacks mit seinem kolonialen oder seinem indigenen Namen bezeichnet wird: Beide Namen stehen für die Zwangslage einer Gemeinschaft, die sich auf vielen Ebenen nach Heilung sehnt um damit die Flüche des kolonialen Erbes zu brechen.

weiterführende Literatur:

Arnold, O. F. (2012). Reconsidering the “NO SHOW” Stamp: Increasing Cultural Safety by Making Peace with a Colonial Legacy. Northern Review, (36), 77-96. Retrieved from https://thenorthernreview.ca/index.php/nr/article/view/259

Arnold, O. F., & Bruce, A. (2005). Nursing practice with Aboriginal communities: Expanding worldviews. Nursing Science Quarterly, 18(3), 259–263. https://doi.org/10.1177/0894318405277632

Arnold, O. F. (2005). Nursing with indigenous communities: The question of membership. Retrieved from https://ofradix.net/2012/11/21/nursing-with-indigenous-communities-the-question-of-membership/

Arnold, O. F. (2004). Working in Aboriginal communities: What kind of health are we promoting? Retrieved from https://ofradix.net/2017/09/14/working-in-aboriginal-communities-what-kind-of-health-are-we-promoting/

für Zeitungsartikel der Yukon News zum Geschehen in Carmacks (gute und andere Neuigkeiten):

https://www.yukon-news.com/search/?cx=015619971846971042401%3Aufh1ywe-cms&ie=UTF-8&q=carmacks

Quelle für die historischen Hinweise zum Tantalus Butte: http://www.explorenorth.com/library/mining/tantaluscoal.html

Colonialism: Eternal punishment?

Tantalus Butte – a landmark in Carmacks, Yukon. It is named after a mythological figure from ancient Greece.

Tantalus was most famous for his eternal punishment. He was made to stand in a pool of water beneath a fruit tree with low branches, with the fruit ever eluding his grasp, and the water always receding before he could take a drink.

What an omen.

Historically, it was Frederick Schwatka who describes “In A Summer in Alaska” (1893):

In the region about the mouth of the Nordenskiöld River a conspicuous bald butte could be seen directly in front of our raft no less than seven times, on as many different stretches of the river. I called it Tantalus Butte, and was glad enough to see it disappear from sight. 

To the Northern Tutchone people, it was known as Gun Tthi, which means ‘worm hill’. They believed that a giant worm with eyes like the sun lived in the hill, and if they made too much noise while passing by on the river, the worm would cause a big wind that would upset their boat.

And the boats in Carmacks are still upset. Many of the people stand in a pool of clear water under an abundantly filled fruit tree with low branches – and the good life does not seem within reach.

The boy I used to regularly pick up with the school bus from the neighbouring driveway: accused of first degree murder. The girl that met me as the bus driver with a mix of contempt and regard – always good for a verbal fight and thankful for the extra service when running late – died as a young woman on a medevac flight under disputable circumstances. A man my age, son of the elder who wanted to adopt me into the First Nation, vanished for a bottle of booze: stabbed to death and disposed off in the mighty Yukon River.

When I stood as part of the honour guard at the ceremony for the signing of the self-government agreement between the British Crown and the Little Salmon Carmacks First Nation – dressed in a brand-new yellow jumpsuit of an EFF (emergency fire fighter), which eventually gave me my Indian name Tsüne Cho (“Big Bird”) – I became the impression that the community of Carmacks was on a healing way. The people embarked on a journey together for a brighter future (“Together Today for our Children Tomorrow”).

There was a strong focus on community development, on establishing self government, on taking control of indigenous peoples’ lives after a long period of colonization and paternalism by the state authorities. I had the impression that the worms of booze and drugs and violence started to crawl back into the burning mine shafts at Coal Mine Hill and Tantalus Butte.

Now, more than twenty years later, and from a distance, I sense that the curse of eternal punishment for the Northern Tutchone people of Carmacks is not broken yet. It is saddening to read of violent deaths, crime, and lack of improvement in the intercultural relationship between the representatives of the British Empire, the mainstream culture, and the indigenous people. As part of my own research into the beauty and challenges of working with indigenous communities, I concluded that it will take much effort to make peace with the colonial legacies and the genocidal policies that shaped the relationship between the “fuckin’ White man” and the “drunk Indian”.

Reading the news coverage of the latest coroner’s inquests and criminal court trials, involving people I got to know as neighbours in a small community with great potential on the banks of the Yukon and Nordenskjold Rivers, I sense that the war is still on: Health care staff are being accused of not doing the right (medical) thing; community members take little control of their less-than-health-promoting lifestyles but expecting a magic cure for their ills from the colonial health care system; the government of the Yukon has not even yet acknowledged the receipt of the recommendations from my own research for small policy changes that could improve the intercultural relationship and increase the cultural safety when working with indigenous communities.

It does not matter, whether the landmark hill near Carmacks is referred to by its colonial or its indigenous name: both names represent a predicament for a community that is longing deeply for healing at many levels, thus breaking the curses of the colonial legacy.

References:

Arnold, O. F. (2012). Reconsidering the “NO SHOW” Stamp: Increasing Cultural Safety by Making Peace with a Colonial Legacy. Northern Review, (36), 77-96. Retrieved from https://thenorthernreview.ca/index.php/nr/article/view/259

Arnold, O. F., & Bruce, A. (2005). Nursing practice with Aboriginal communities: Expanding worldviews. Nursing Science Quarterly, 18(3), 259–263. https://doi.org/10.1177/0894318405277632

Arnold, O. F. (2005). Nursing with indigenous communities: The question of membership. Retrieved from https://ofradix.net/2012/11/21/nursing-with-indigenous-communities-the-question-of-membership/

Arnold, O. F. (2004). Working in Aboriginal communities: What kind of health are we promoting? Retrieved from https://ofradix.net/2017/09/14/working-in-aboriginal-communities-what-kind-of-health-are-we-promoting/

for Yukon News coverage on Carmacks (good news and other news):

https://www.yukon-news.com/search/?cx=015619971846971042401%3Aufh1ywe-cms&ie=UTF-8&q=carmacks

for historical context on Tantalus Butte: http://www.explorenorth.com/library/mining/tantaluscoal.html

Epiphany

Swiss King’s Cake – the Black Friday edition

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To learn more about Epiphany on January 6, the day of the king’s cake, see the following short video. To understand the scenery, read along in your favourite bible (Matthew 2, 1 – 12).

Um etwas über die Hintergründe des Dreikönigkuchens zu erfahren, schau dir das kurze Video an und lese dazu den Text in Matthäus 2, 1 – 12.

Greta – das Feindbild

Let the Sun shine!
Sonne, Wasser, Luft und Kälte. Valentin’s Naturspielraum in Tenna, Safiental 

Greta Thunberg ist eine junge Frau mit einem Anliegen. Das freut mich, denn ich habe nun eine Generation von jungen Leuten erlebt, die sich vom Wohlstand haben treiben lassen: solange der Akku mehr als 20% voll ist, ist alles gut! Und wer gibt mir das Geld fürs neue Galaxy 99?

Die Empörung gewisser Leute über Greta finde ich lächerlich. Greta wird von den Medien und der Grossfinanz als Feindbild aufgebaut und grossflächig vermarktet, so dass sich viele Leute über diese junge Frau aufregen können. Die sozialen Medien sind voll von Beiträgen gegen das Engagement dieser jungen Frau. Man sucht mit aller Kraft Beispiele, um beweisen zu können, dass Greta eine Bildungslücke hat, dass Klimawandel schon immer existiert hat, etc.

Ablenkungsmanöver: die Mächtigen der Welt, die Wenigen, die vom kapitalistischen System profitieren, freuen sich über eure Empörung. Es ist eine tolle Ablenkung. Ihr seid alle voll beschäftigt mit einem medial gesteuerten Thema. Damit sind viele verhindert, sich kritisch mit ihren Anliegen und reellen, existentiellen Bedürfnissen auseinander zu setzen.

Dabei geht vergessen, dass unser System so langsam den Sozialstaat abschafft. Klar, wir brauchen eine liberale Gesellschaft, eine gesunde Wirtschaft, wir lassen uns leiten von Angebot und Nachfrage – und alles wird gut. Wenn es den Superreichen gut geht, hebt das auch unseren Wohlstand. Da brauchen wir keinen Sozialstaat mehr. Wir zahlen zwar noch ein in unsere Altersvorsorge und in die Pensionskassen – doch das Geld wird zunehmend umverteilt auf Firmen, die sich verspekuliert haben im freien Markt. Weil sie zu gross sind, um zu scheitern, braucht es halt – für ein paar Superreiche – die gesamten Staatsgelder der Vorsorge für die kleinen Leute um diese Multinationalen zu sanieren und zu subventionieren.

Den kleinen Leuten werden die Renten gekürzt, die Umwandlungszinssätze angepasst, die Steuern gesenkt und die Gebühren erhoben. Es werden laufend neue Bedürfnisse geschaffen, ohne dass die Beschäftigung sinnvoll oder gesichert ist, oder ohne dass die heutigen Löhne noch langfristig existenzsichernd sind. Auch die Arbeitenden müssen ja schliesslich ein bisschen mithelfen, dass es den Aktionären und Grossinvestoren noch besser geht.

Empört euch weiterhin über diese junge Frau und ihr Anliegen. Lasst euch eure Köpfe in den Sand stecken!

PS: In den 1980’er Jahren hatte ich einen jungen Mann mit einem Anliegen gekannt: Bruno Manser hat sich eingesetzt für die Penan, ein indigenes Volk in Borneo, dessen Lebensraum durch die masslose Abholzung im Namen von globaler Entwicklung, Industrialisierung und Profit bedroht war. Auch Bruno Manser wurde vom Grosskapital verheizt, als Feindbild aufgebaut, und eingeladen, um vor der UNO zu sprechen und auszusagen, etc. Die Zusammenhänge sind sehr stimmig im neuen Film über das Wirken von “Bruno Manser – die Stimme des Regenwaldes” dargestellt. Am Schluss musste der Mensch dem globalen Fortschritt weichen…

Empört euch nur ein bisschen! Aber bitte nicht über Greta.

 

 

Soziale Gerechtigkeit

Wenn das Geld regiert (und nicht hilft)

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Der Social Justice Index, berechnet für viele vergleichbare Länder auf dieser Erde, zeigt wie weit die Gleichwertigkeit aller Menschen im öffentlichen und ökonomischen Raume verwirklicht wird.

Eine wichtige Erkenntnis der 2019 Ausgabe ist, dass trotz sinkender Arbeitslosigkeit, das heisst einem höheren Grad an Beschäftigung, das Armutsrisiko steigt. Das heisst, die Ansprüche und die Kosten für den Lebensunterhalt steigen schneller als die Einkommen. Damit öffnet sich die Schere zwischen der Mittelklasse (die konsumiert) und derjenigen, die die Gewinne schöpfen, weiter.

Die Grafik aus der Publikation Social Justice in the EU and OECD – In a nutshell. Index Report 2019 (Thorsten Hellmann, Pia Schmidt, Sascha Matthias Heller, Bertelsmann Stiftung (Hrsg.)) zeigt deutlich, dass in der kapitalintensiven Schweiz das viele vorhandene Geld wenig wirksam ist, die soziale Gerechtigkeit zu fördern. 

Die Schweiz rangiert auf Platz 14 im Vergleich mit den untersuchten Staaten, in denen ja im wesentlichen die globalisierte Wirtschaft kontrolliert wird. Im längerfristigen Vergleich haben die Menschen, die in der Schweiz leben, keinen wirklichen Fortschritt gespürt. Bei der Verhinderung von Armut rangiert die Schweiz (öffentlich-rechtlich und privatwirtschaftlich betrachtet) gar nur auf Rang 21 (Mittelfeld). Eine Schande, wenn bedenkt wird, dass die Schweiz das dritthöchste Bruttosozialprodukt pro Kopf aufweist!

John Kenneth Galbraith wies darauf hin, dass man zu seiner Jugendzeit sagte: „Wenn man einem Pferd genug Hafer gibt, wird auch etwas auf die Straße durchkommen, um die Spatzen zu füttern“. Dies wurde damals als horse and sparrow theory bezeichnet. In ökonomischen Kreisen ist dies die Trickle-down-Theorie[1]. Die Resultate der Bertelsmann Stiftung im Social Justice Index zeigen mir, dass die kapitalistische Idee (oder Rechtfertigung) des “trickle-down-effects”, dass es allen gut gehen wird, wenn ein paar wenige Superreiche alles verdienen, vermögen und kontrollieren, nicht funktioniert.

Dafür landet immer mehr Mist auf den Wegen der Spatzen!

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Die Spatzen liessen sich bitten für den Phototermin!

Der General und die Gnade Gottes

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“Nur lassen Sie mein Leben nicht verloren gehen!” ist die inbrünstige, religiös konnotierte Bitte aus einem Gnadengesuch an General Wille im Jahr 1917. Es ist auch Teil des Titels der neu veröffentlichten Dissertation der Militärhistorikerin Lea Moliterni Eberle (2019, NZZ Libro).

Lea Moliterni hat einen Fundus von mehreren Tausend Dokumenten im Bundesarchiv bearbeitet. Dieser beinhaltet Korrespondenz im Zusammenhang mit Gnadengesuchen von Militärangehörigen und Zivilisten, die unter dem Regime der Militärjustiz während des Ersten Weltkrieges verurteilt wurden. In ihrer systematischen Untersuchung hat Lea Moliterni anhand eines ausgewählten Testfalls eine Methodik entwickelt, um die Lebensgeschichten von 38 Verurteilten zu beleuchten. Ebenso wichtig war es ihr, Grundwerte der Reaktionen und Antworten des damaligen Gnadenherrn sichtbar zu machen.

Ulrich Wille ist der Angelpunkt dieser Arbeit. Als er beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges zum Befehlshaber der Schweizerischen Armee bestimmt wurde, konnte er nicht ahnen, dass ein substantieller Teil seiner täglichen Arbeit nicht darin bestand, strategische Truppenverschiebungen zur Verteidigung eines Vaterlandes und Angriffe gegen Feinde zu befehlen. Die besondere Rechtslage am Anfang des 20. Jahrhunderts, mit einem veralteten, inadäquaten Militärstrafrecht, bescherte ihm auch die Aufgabe des Gnadenherrn. Durch eine bundesrätliche Verordnung wurden während den Kriegsjahren faktisch die gesamte erwachsene Bevölkerung, Frauen und Männer, Zivilisten und Militärangehörige, dem Militärstrafrecht unterstellt.

Plötzlich hatte es der General sehr intensiv mit Menschen zu tun, die nicht Offiziere und Soldaten waren. Die drastischen Strafmasse des damals geltenden Rechts erhöhten in vielen Fällen eine Not, die durch die kriegerischen Zeitgeschehnisse in Europa und die Mobilmachung in der Schweiz, weite Teile der Bevölkerung betraf. Ulrich Wille — abstammungsmässig Schweizer, strammer preussischer Offizier mit nobler Verwandtschaft, und nicht als volksverbunden bekannt — wurde nun täglich mit Anliegen konfrontiert, die das Alltagsleben von ihm unzugänglichen sozialen Schichten anschaulich und manchmal dramatisch illustrierten.

Lea Moliterni untersucht im Detail die unterschiedlichen Strategien, mit denen die Bittsteller und Bittstellerinnen dem General ihre Anliegen nahegelegt haben. Sie beschreibt Muster und Parallelen anhand von Fällen, die von der Tötung mit einer Dienstwaffe bis zur Benutzung des eigenen Fahrrades alles umfassen, was das tägliche Leben bescherte. Dabei wird ersichtlich, dass der General in breiten Schichten des Volkes ein sehr hohes Ansehen genoss. Im Besonderen ausserhalb der militärischen Hierarchie wird seine Stellung oft nahezu religiös enthoben (und machtvoll) verstanden.

Das hängt sicher damit zusammen, dass der Zuspruch von Gnade für viele Menschen damals nicht einer weltlichen Kompetenz entsprang. Wenn, dann war sie vermittelt durch geweihte Würdenträger. Lea Moliterni verzichtet darauf, solche spirituellen Hintergründe, und speziell das entsprechende Selbstverständnis des Gnadenherrns, in ihrer Arbeit näher auszuarbeiten.

Betont wird die Erkenntnis, dass Ulrich Wille in verschiedener Hinsicht mit den Gnadenentscheiden ausgleichend handelte, und damit die ihm bekannte Welt ein Stück besser machte. Der General schien in seinen Entscheiden auch innerer Wandel und Reue bei den Verurteilten zu belohnen. Andere Gefühlsbekundungen in den Gesuchen hatten weit weniger Wirkung. Diese Seiten seines Handeln können durchaus verstanden werden als Gottes Wirken im Leben des Generals.

Lea Moliterni zeigt gleichzeitig auf, wie eigenwillig der General, der einiges der Korrespondenz selber zu erledigen schien, auf die unterschiedlichen Gnadengesuche und Anliegen reagierte. Sie revidiert das Bild eines sturen Befehlshabers und illustriert eine facettenreiche Seite eines durchaus emotional berührbaren und menschlich handelnden Mitbürgers. Und sie schafft es, die beinahe 500 Seiten auch für die Leserschaft ausserhalb einer spezialisierten Disziplin lesbar, anschaulich und interessant zu schreiben.

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