Drei Worte um das laufende Jahr zu umschreiben?
hmmm…
loslassen. ankommen. weitergehen!
Diese Frage wurde mir in einem Interview gestellt. Für eine ehrliche und bedeutungsvolle Antwort brauchte ich doch einen Moment länger als was üblicherweise in einer Gameshow zur Verfügung stehen würde, ohne Joker und Lifeline.
2025
Aus meinem persönlichsten Umfeld wurde ich mehrerer strafrechtlicher Vergehen und eines Verbrechens bezichtigt. Der verpflichtete Anwalt und Rechtsvertreter hat mit dem Strafgesetzbuch in der Hand optimierte Szenarien formuliert und interpretiert. Die so durchsichtig auf maximalen Effekt für die Strafverfolgungsbehörde getrimmten Schreiben zeugen von langjähriger Erfahrung. Bezug zur Realität: unwesentlich. Kontext: irrelevant. Genauigkeit: nur wenn hilfreich. Der Anwalt ist ja der Mandantin verpflichtet – nicht dem Gesetz und nicht der Wahrheit.
Aus einem physiologischen Furz lässt sich so eine symphonische Dichtung der Neuen Musik oder eine Umweltkatastrophe mit Giftgaseinsatz konstruieren.
Loslassen.
Anstelle einer juristischen Vertretung habe ich mich auf die spirituellen Werte und Haltung meines Glaubens bezogen. Ich habe mich allein als ganzer Mensch hingestellt und das Verhör, wie auch die Befragung durch die Staatsanwältin, ohne juristische Strategie und argumentative Finesse beantwortet.
Wahrhaftigkeit. Integrität. Die Frage des “Recht Habens” wurde völlig irrelevant unter solchen Umständen. Die Chance auf Erfolg ebenso.
Der Rechtsvertreter hatte seine Mandantin mit vorformulierten Aussagen und Feststellungen gebrieft und gecoacht. Leider hatten diese nicht immer einen relevanten Bezug zum Inhalt der laufenden Verhandlungen. Auch war er verstrickt in technische Schwierigkeiten mit seinem Gerät, die ihn genauso lächerlich aussehen liessen wie er die fortschreitenden Vergleichsgespräche zwischen mir und seiner Mandantin störte. Zum Schluss sass er da, zerknittert und mit schlaffer Krawatte in seinem gebügelten Anzug.
In diesem turbulenten Prozess gab es einen Moment, eine Minute des Schweigens, des wortlosen Dialogs mit direktem Augenkontakt zwischen der Geschädigten und dem Beschuldigten. Da war eine innige, liebende Verbundenheit präsent. Unausgesprochen. Unerklärlich.
Ankommen.
Einfachheit. Gemeinschaft. Die komplizierte juristische Attacke und damit die Zuschreibung von Schuld drehte danach eine weitere Schlaufe nach ihren eigenen Spielregeln (alles gesetzeskonform), und ich fühlte mich wie aussen vor als Betrachtender. Mit gelegentlichem Blick in die saftigen Kronen der umstehenden Bäume.
Ich durfte zum Schluss einen vorverfassten Vergleich unterschreiben. Mich bedanken und verabschieden.
Und weitergehen.
Gleichwertigkeit. Frieden. Diese Funken der Menschlichkeit zeigten sich ganz kurz. Mir scheint es wichtig, diese trotz allen Widrigkeiten und trotz des Fehlens eines gemeinsamen Verständnisses und gleichwertigen Dialogs zu spüren, zu erkennen und wertzuschätzen.
Was ich hier anhand einer kurzen Episode beschreibe, hat ein ganzes Lebensjahr definiert.
“Speaking truth to power” wirkt auch in anderen Situationen und Kontexten.



