
Artikel aus der Zeitung ´Zentralschweiz am Sonntag´, erschienen am 17. März 2013 (klicke das Bild an für eine Vergrösserung).

Geschrieben auf Grund von Reiseerlebnissen im Sommer 2012. Ich hatte für eine Woche meinem Kollegen Rainer Russmann bei der Logistik für einen Wildniskurs ausgeholfen. Hier ist der Text von Andreas, alias Melchior Rudenz, in der Originalfassung:
“Yukon, grösser als das Leben
Die Reise beginnt nicht optimal. Als wir im Hotel Gold Rush Inn eintreffen, heisst es, das reservierte Zimmer sei leider schon besetzt. Auf die bescheidene Frage, wo sonst wir denn übernachten können, zuckt der Receptionist nur die Schultern: „ Wir sind voll, und auch die anderen Hotels in der Stadt haben nichts mehr frei“. Zur näheren Orientierung: es ist Mitternacht, wir sind in Whitehorse, und im Rayon von mindestens hundert Kilometern gibt es keine weitere Uebernachtungsmöglichkeit. Also droht der Schlafsack unter einer Brücke. Doch Mexikaner, die in der Gegend Jagd auf Dall-Schafe machen wollen und gerade in aufgeräumter Stimmung von der Hotelbar zurückkehren, haben die Freundlichkeit, uns eines ihrer Zimmer zu überlassen.
Am nächsten Morgen besichtigen wir Whitehorse. Die Stadt hat nur insofern was mit weissen Pferden zu tun, als dort der Yukon – Fluss früher derart zügig vorbeifloss, dass sich das Wasser zu schäumenden, sich überschlagenden Wellen auftürmte, eben weissen Pferden ähnlich. Wir beginnen unseren Bummel beim historischen Bahnhof der White Pass & Yukon Route. Ueber den White Pass marschierten einst die Goldsucher. Denn 1887 wurde in Klondike, 500 Kilometer nördlich von Whitehorse, Gold gefunden. Zu Tausenden strömten damals die Glücksritter ins Land, der grösste Goldrush seit den Zeiten Generals Sutters in Kalifornien.
Alles längst tempi passati, selbst die White Pass-Bahn fährt nicht mehr. Doch Whitehorse, Hauptstadt des nordwestkanadischen Territoriums Yukon, hat einiges an Flair aus dieser Zeit bewahren können. Im übrigen kann man dort alles einkaufen, was man für eine Reise im Yukon braucht.
Notfalls helfen andere Schweizer mit guten Shopping-Tips. Denn auf Miteidgenossen trifft man in Whitehorse zumindest während der Sommersaison an beinahe jeder Strassenecke – ein abenteuerlustiges Völklein halt, wir Schweizer. Einige sind gleich dageblieben, wie Fräulein Salzmann aus Oberägeri, die uns im Fotoladen bedient.
Hervorragend darüber dokumentiert, was das Yukon Territory – Slogan: „Larger than Life“ – alles zu bieten hat, wird man im Visitor Information Center. Dort auch finden wir die deutsch geschriebene Broschüre „Einmaleins für Bärenbegegnungen“. Darin steht allerlei Wissenswertes über Bären, schwarze und braune. Am Anfang lesen wir die beruhigende Feststellung, dass die „meisten Zusammentreffen von Mensch und Bär nicht dramatisch“ verlaufen. Doch auf den folgenden 15 Seiten stehen unzählige Verhaltensempfehlungen für den Fall, dass dieses Zusammentreffen doch nicht so friedlich sein sollte. „Wenn ein offensiver Bär angreift, haben sie es mit einem beutegierigen Bären zu tun, der sie fressen will. Kämpfen sie um ihr Leben!“ Und da wir inzwischen gelernt haben, dass es im Yukon um die 17’000 Bären gibt, beschliessen wir, unser Projekt, die Gegend wandernd und paddelnd zu besichtigen, sofort zu ändern und ein Motorhome zu mieten. Herrn Russmann, den wir jetzt dann gleich treffen und der unsere Reise in den kommenden Tagen leiten soll, wollen wir das umgehend kundtun. „Ich bin Rainer“, stellt er sich vor und beruhigt uns mit der Bemerkung, er lebe seit 18 Jahren im Yukon und habe noch nie ein gefährliches Rencontre mit einem Bären gehabt. Ueber die Schweizer Hysterie um den inzwischen gemeuchelten Bündner Bären mit dem despektierlichen Namen M13 lacht er sich halbtot. “ Keine Bange, es wird alles gut“, fügt er an. Wir sollten diese Redewendung noch einige Male hören.
Rainer bringt uns in sein Camp, das zwar 50 Kilometer entfernt ist, aber entsprechend yukonischem Distanzverständnis „gleich um die Ecke“ liegt. Wir können das nachvollziehen, denn was sind schon 50 Kilometer, nachdem Yukon rund zwölfmal so gross ist wie die Schweiz. Auf der ganzen Strecke haben wir im übrigen zwei Autos gekreuzt. Kein Wunder: in Yukon leben 32’000 Leute, davon drei Viertel in Whitehorse. Oder mit anderen Worte und oh Schreck: es gibt ausserhalb der Hauptstadt mehr Bären als Menschen.
Rainers Camp besteht aus drei Hütten, zwei schönen und einer etwas weniger schönen, und in der wohnen wir für’s
Erste. Alles ist hier ein bisschen rudimentär, von den knarrenden Pritschen genannt „Betten“, über den Schopf mit dem aufgehängten Wasserbeutel, sprich Dusche, bis zum Plumpsklo, einer windschiefen Bretterbude, die einige Dutzend Meter entfernt im Wald liegt, was bei nächtlichem Harndrang dazu führt, dass man die Angelegenheit kurzum gleich bei der Hütte erledigt.
Doch was soll’s, wir sind ja hier, um das Wildnisgefühl zu erleben, und spätestens am abendlichen Lagerfeuer, die Tabakspfeife in der einen, das Bier in der anderen Hand und gebannt den Erzählungen von Othmar lauschend, haben wir uns mit sämtlichen Inkonvenienzen ausgesöhnt. Othmar ist ein Schweizer aus Sursee, der, nach Uni-Studium und Bergbauern im Safiental vor Jahren mit seiner Familie nach Yukon gezogen ist. Auf der Suche nach der grossen Freiheit, wie man sie hier noch leben kann.
Othmar weiss alles, Othmar kann alles. Er, wie Rainer auch, sind Menschen, die man irgendwo auf der Welt hinstellen kann, und dann funktionieren sie. Bei einer Wanderung am Fusse der sich beeindruckend vor uns auftürmenden St. Elias Mountains zeigt uns Othmar Schafgarben, Eisenhut und Lupinien, berichtet über Begegnungen mit der hiesigen Fauna – Elche, Wölfe, Bergschafe und vieles mehr – , erzählt von seltsamen Zeitgenossen wie jenem über 70jährigen Schweizer, der jüngst allein den Mackenzie-River runtergepaddelt sei – immerhin über 1000 Kilometer- und erklärt einem Kollegen, der unter Kopfweh leidet, wie man aus einer Pflanze Aspirin gewinnen kann.
Othmar bringt uns und die Kanus mit dem grossen Pickup zum Dezadeash, einem dieser unzähligen mächtigen Flüsse, die den Yukon durchziehen. Mit dem Kanu einen Fluss runtersausen- auch einer der Gründe, weshalb wir hier sind. Eingeführt in die rudimentärsten Paddeltechniken hat uns Rainer auf einem kleinen See und später auf dem beruhigend gleichmässig dahinziehenden Takhini River. Ein indianischer Name übrigens, nachdem hier, weit verstreut, einige tausend Angehörige der First Nation leben, wie die Urbevölkerung in Kanada respektvoll genannt wird. „Alles gut“, sagt Rainer, als wir in einer engen Flusswindung, bedrängt von dichtem Buschwerk, bei leichtem Regen und heftigem Wind, unsere Kanus in den Dezadeash legen. Und los geht’s, allerdings nicht sehr weit und nicht alles gut. Man muss wissen: die Flüsse im Yukon sind gross und stark. Die Ufer sind oft unterspühlt, und umgekippte Bäume ragen weit ins Wasser hinein. In den Windungen liegt vielfach Treibholz, manchmal mehrere Meter hoch, Mauern gleich. Wir geraten in die Strömung eines von der Seite eindringenden Nebenflusses, kriegen die Kurve nicht mehr und donnern voll in die Uferböschung. Das Kanu kentert, wir kippen ins wilde, kalte Wasser, und trügen wir nicht Schwimmwesten, wir würden wohl elendiglich ertrinken. Das Kanu und wir landen schlussendlich auf einer Sandbank, doch die in wasserdichten, im Boot festgezurrten Säcken verstauten Ersatzkleider sind trocken geblieben. Rainer ist auch schon herangepaddelt, reibt uns warm, gibt uns zu trinken, und jetzt ist tatsächlich wieder fast „alles gut“.
Abends am Lagerfeuer, vor unseren Zelten und mitten in jenen Beeren-Sträuchern, die von den Bären so innig geliebt werden, dürfen wir dann unser Kipp-Abenteuer ein weiteres Mal zum Besten geben, jetzt natürlich um einiges dramatisch erhöht.
Die nächsten Tage herrscht prächtiges Wetter, wir lassen uns vom majestätisch dahin fliessenden Dezadeash River treiben, geniessen die herrrliche Landschaft des endlosen Kluane National Park mit den schneeüberzuckerten Elias-Bergen im Hintergrund und wissen, dass jetzt definitiv „alles gut“ ist.
Melchior Rudenz
Kasten
Grösstes Schutzgebiet der Welt
Yu-kun-ah heisst in der Sprache der Loucheux-Indianer der über 3000 Kilometer lange Fluss, der das Gebiet durchzieht. Und nach ihm wurde die ganze Gegend benannt: Yukon, die nordwestlichste Region Kanadas, 500’000 Quadratkilometer Berge, Gletscher, Flüsse, Seen, Wälder. Yukon ist ein Naturparadies, eines der letzten unserer Erde, mit zigtausenden von Karibus, Elchen, Wölfen, Bergschafen, Bären – und wenig Menschen, ganze 16 pro Quadratkilometer, freiheitssüchtige Individualisten zumeist.
Der amerikanische Schriftsteller Jack London hat dem Yukon ein literarisches Denkmal gesetzt: „Call of the Wild“, Ruf der Wildnis. Und wer sie sucht, der findet sie auch in dieser stillen Weite mit ihrem unendlichen Himmel. Bloss zwei grosse Strassen führen durch den Yukon, der Dempster und der Alaska Highway. Dort tummeln sich die meisten Touristen. Sie sind mit ihren Motorhomes unterwegs, was den Vorteil hat, dass Kanufahrer und Wanderer den Yukon eigentlich für sich haben. Insbesondere im Kluane National Park, zusammen mit den angrenzenden Gebieten in Alaska und British Columbia das grösste Schutzgebiet der Welt, ein Zauberland für Freunde der Natur. Rainer Russmann, unser Guide, kennt den Kluane vielleicht besser als jeder andere. Seit beinahe 20 Jahren ist er dort mit seinen Kunden paddelnd und wandernd unterwegs – ein toller Typ, dem man sich restlos anvertrauen kann. Alle Angaben über sein Reiseangebot finden sich unter info@yukon-wild.de oder Tel. +1 867 668 5511.
Gebucht haben wir unsere Reise über Hangloose Travelservice, Spitalgasse 4, 3011 Bern, reisen@hangloose.ch oder Tel. 031 313 18 18.
Die deutsche Fluggesellschaft Condor fliegt wöchentlich zweimal von Frankfurt nach Whitehorse, das auch über Vancouver oder Calgary regelmässig angeflogen wird.
Beste Jahreszeit für Reisen im Yukon sind die Monate Juni bis August.”
One thought on “Im Yukon hat der Bär die Schnauze vorn”