“Modern geht die Welt zugrunde”

“Modern geht die Welt zugrunde”

Der neue Hausphilosoph der Wohngemeinschaft Alte Sennerei im Tenna Hospiz hat dies, in Anlehnung an ein bei Gogol, Die stille Trauer, schon 1842 zitiertes Sprichwort, formuliert.

Ich bin beeindruckt von der Tiefe dieser Aussage eines einfachen Mannes. Er, der keine akademischen Titel trägt, Pfeife raucht, und still die Welt beobachtet: nicht nur die Schönheit der majestätischen Bergkulisse an seinem letzten Lebensort, sondern – mit der selben Neugier und ohne analytisch-rechthaberischen Ansprüchen – auch die soziologischen Begebenheiten und Zusammenhänge.

Ich weiss nicht, ob er jemals Gogol gelesen hat. Er ging als Hirt durchs Leben. Er kennt wenige Flecken dieser Erde – die, die er kennt jedoch in minutiösen und vernetzten Details. Sein Hobby war es “Hirschhora” zu sammeln; dabei weiss jedes Kind, dass Hirsche ein Geweih tragen…

Ein medizinischer Notfall setzte seiner eigenwilligen Eigenständigkeit ein jähes Ende.

Hilflos und körperlich stark beeinträchtigt wagte er den Schritt – von Angehörigen im Rollstuhl gestossen – in eine Wohngemeinschaft für den letzten Lebensabschnitt. Er verzichtete auf professionelle Abklärung, Diagnose, medizinische Behandlung und Rehabilitation.

Mit der Akzeptanz eines Weisen und dem Willen und der Kraft eines einfachen Menschen lernte er in kurzer Zeit, einen neuen Alltag zu meistern.

Stell dir vor, das Erlebnis, wenn eine gelähmte Hand das erste Mal am Frühstückstisch eine Scheibe Brot zu greifen vermag. Dank höchster Konzentration, optimistischem Ausblick und trotz gegenteiliger Evidenz.

Stell dir vor die Freude, als er wieder vor die Haustüre treten konnte, um seiner Sucht zu frönen.

Damit hat er den medizinisch-industriellen Komplex um durchschnittlich € 43’812 an Umsatzpotenzial gebracht (safestroke.eu: At what cost?). Die pro Patient im Schnitt ausgewiesenen nicht-verrechenbaren 500 Pflegestunden pro Jahr werden ihm durch die Wohngemeinschaft Alte Sennerei und pflegende Angehörige geleistet.

Und was hat das mit dem befürchteten Weltuntergang zu tun?

Erstens, unser Hausphilosoph hat sich entschieden, mit dem was er hat, das Beste zu machen. Er strebte kein Ideal an, er stellte keinen Anspruch auf Genesung, Heilung oder gar Optimierung. Er hat auch nicht darauf gepocht, dass er mit allen verfügbaren Mitteln behandelt wird, nur weil er jahrzehntelang in die Krankenkasse einbezahlt hat ohne gross davon zu profitieren.

Ihm waren andere Sachen wichtig – und diese scheinen nicht modern. Dafür sind sie nachhaltig und sie werden als universelle menschliche Werte die angehende Apokalypse überdauern.

Ohne gewisse ‘altmodischen Tugenden’ wird die Welt der modernen Gesellschaften zugrunde gehen. Denn in diesen Tugenden, und nicht in den modernen Hypes, steckt die Kraft der Resilienz, trotz dem wirtschaftlichen Würgegriff der modernen Zeit und den daraus resultierenden soziologischen Konsequenzen, ein Leben in Würde leben zu können.

Rückkehr an den Sehnsuchtsort 

Rückkehr an den Sehnsuchtsort 
  • Othmar F. Arnold und Tenna: Das ist eine alte Geschichte. Sie reicht zurück in die frühen 1980er-Jahre, als sich der Dienstverweigerer Arnold aus Sursee LU zu einem freiwilligen Zivildienst in der Berglandwirtschaft entscheidet. Während dieser Arbeit wächst der Wunsch, mal einen Sommer auf einer Alp zu verbringen. Aber wo? Es ist ein Bauer aus Tenna im Safiental, der dem jungen Mann einen Hirtenstock in die Hand drückt. Arnold gefällts. Einen Sommer später trifft man Arnold erneut auf einer Safier Alp. Tenna wird zum Sehnsuchtsort.
  • Wen wunderts, dass sich Arnold, als er vom Tod des «Bankenmichels» in Tenna erfährt, sich um die Nachfolge bewirbt? Der 25-Jährige wird Chef der Raiffeisenbank. Es ist ein 30-Prozent-Job mit Freiräumen. Arnold wird Bergbauer. Doch mit der Pacht will es nicht so recht klappen. Nach zwei Jahren steht Bauer Arnold plötzlich ohne Land da. Was tun? Die Antwort führt zur grössten Zäsur in seinem Leben: Mit Kind und Kuh gehts nach Kanada. Es ist ein Aufbruch ins Unbekannte, gleichzeitig auch die Zerstörung einer Illusion. Denn bald muss Arnold erkennen, dass Landwirtschaft letztlich nicht seine Berufung ist.
  • Es geht zurück auf Feld eins. Arnold zieht mit der Familie an den Rand eines indigenen Dorfes und führt als «Wilderness Guide» Touristen durch die Gegend.
  • Im Winter hält er die Familie mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Bald wird er angefragt, ob er bei der Feuerwehr mitmachen wolle, bei der Sanität und der Ambulanz. Im Rückblick ist ihm klar: «Das war mein Einstieg in die Pflege».
  • Arnold bildet sich zum Rettungssanitäter aus. Mit 40 Jahren beginnt er am Selkirk College in Castlegar im Südwesten der Provinz British Columbia das Studium zum Pflegefachmann. Dort wird ein breites Berufsverständnis vermittelt. Pflegende sollen mehr Verantwortung übernehmen und in Bereichen mitdenken und entscheiden, die hierzulande Ärzten vorbehalten sind. 2005 folgt der Bachelor in Pflegewissenschaften, fünf Jahre später der Master. Dazwischen arbeitet Arnold in der Langzeit- und Demenzpflege, in einem Aids-Hospiz und sammelt bei Einsätzen in Uganda, Ruanda oder Pakistan Erfahrungen als humanitärer Katastrophenhelfer. Es ist aber auch die Zeit, während der das Bedürfnis nach einer Rückkehr in die Schweiz wächst.
  • Ein Inserat der Spitex Foppa in Ilanz lockt ihn 2013 schliesslich zurück und in den traditionellen Pflegeberuf. Arnold bildet sich weiter, absolviert 2016 gar ein theologisches Nachdiplomstudium …
    und initiiert schliesslich in Tenna das «Hospiz Alte Sennerei», diesen «Ort zwischen Heim und Daheim», wo «alte Menschen in einer Wohngemeinschaft und in vertrauter Umgebung leben und kompetent und achtsam durch fragile Zeiten begleitet werden.» Seit 2021 leitet der 64-Jährige das Hospiz, unterstützt von einem kleinen Team aus Fachleuten
  • Übrigens: Jenen Bauer aus Tenna, der vor über vierzig Sommer Othmar F. Arnolds Alpwunsch ermöglicht hatte, durfte er zu Hause in den Tod begleiten. Seine Frau ist heute Bewohnerin im Hospiz.

  • Text: Zeitlupe Magazin, 08-2025, Marco Guetg

Ostern 2020

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In Zeiten von Corona können wir uns anschliessen an den Wunsch aus der Pestzeit im 16. und 17. Jahrhundert (Kirche St. Johannes, Safien Platz):

“Gott verleiche Inen ein fröhliche ufferstehung und unß allen ein seellig Enndt.”

Soziale Gerechtigkeit

Wenn das Geld regiert (und nicht hilft)

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Der Social Justice Index, berechnet für viele vergleichbare Länder auf dieser Erde, zeigt wie weit die Gleichwertigkeit aller Menschen im öffentlichen und ökonomischen Raume verwirklicht wird.

Eine wichtige Erkenntnis der 2019 Ausgabe ist, dass trotz sinkender Arbeitslosigkeit, das heisst einem höheren Grad an Beschäftigung, das Armutsrisiko steigt. Das heisst, die Ansprüche und die Kosten für den Lebensunterhalt steigen schneller als die Einkommen. Damit öffnet sich die Schere zwischen der Mittelklasse (die konsumiert) und derjenigen, die die Gewinne schöpfen, weiter.

Die Grafik aus der Publikation Social Justice in the EU and OECD – In a nutshell. Index Report 2019 (Thorsten Hellmann, Pia Schmidt, Sascha Matthias Heller, Bertelsmann Stiftung (Hrsg.)) zeigt deutlich, dass in der kapitalintensiven Schweiz das viele vorhandene Geld wenig wirksam ist, die soziale Gerechtigkeit zu fördern. 

Die Schweiz rangiert auf Platz 14 im Vergleich mit den untersuchten Staaten, in denen ja im wesentlichen die globalisierte Wirtschaft kontrolliert wird. Im längerfristigen Vergleich haben die Menschen, die in der Schweiz leben, keinen wirklichen Fortschritt gespürt. Bei der Verhinderung von Armut rangiert die Schweiz (öffentlich-rechtlich und privatwirtschaftlich betrachtet) gar nur auf Rang 21 (Mittelfeld). Eine Schande, wenn bedenkt wird, dass die Schweiz das dritthöchste Bruttosozialprodukt pro Kopf aufweist!

John Kenneth Galbraith wies darauf hin, dass man zu seiner Jugendzeit sagte: „Wenn man einem Pferd genug Hafer gibt, wird auch etwas auf die Straße durchkommen, um die Spatzen zu füttern“. Dies wurde damals als horse and sparrow theory bezeichnet. In ökonomischen Kreisen ist dies die Trickle-down-Theorie[1]. Die Resultate der Bertelsmann Stiftung im Social Justice Index zeigen mir, dass die kapitalistische Idee (oder Rechtfertigung) des “trickle-down-effects”, dass es allen gut gehen wird, wenn ein paar wenige Superreiche alles verdienen, vermögen und kontrollieren, nicht funktioniert.

Dafür landet immer mehr Mist auf den Wegen der Spatzen!

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Die Spatzen liessen sich bitten für den Phototermin!

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Die Herde des BioHof Casutt auf der Sommerweide. The herd from the BioHof Casutt on the summer range. Waldalp, Safiental, Switzerland.

Klick auf das Bild, um die volle Freiheit des Lebens auf der Alp zu geniessen. Click on the image to enjoy the full freedom of the life on the high alpine summer range.

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Die jüngsten sind auch mit dabei!

Tiefe Un(d)Ruhe

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Zu tiefst im Wald muss ich meine Wege geh’n,

zu tiefst in der Welt meine Wege steh’n,

 am Himmel kann ich meine Wege seh’n.

 

 

ein weiterer Beitrag zum Thema in Englisch: Spiritual Restlessness

The Gospel of Wealth

Verses 1-4; Translated from Neoliberal

was für eine Schweinerei!
Those who are fine!

dene wos ned guet geit

giengs besser

giengs dene besser

wos scho lang guet geit

those who fare badly

would be better off

would those fare better

that for long had been doing fine Continue reading “The Gospel of Wealth”

Wohlstands-Evangelium

Verse 1-4; Übersetzt aus dem Neoliberalen

was für eine Schweinerei!
Dene wos guet geit!

dene wos ned guet geit

giengs besser

giengs dene besser

wos scho lang guet geit

jenen, denen es nicht so gut geht,

ginge es besser

würde es denen besser gehen

denen es schon lange gut geht Continue reading “Wohlstands-Evangelium”

Entschleunigt Leben

Living at a slower pace

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Grüsse aus Tenna, das seit heute Nachmittag wegen grosser Lawinengefahr von der grossen weiten Welt abgeschnitten ist!

Schon vor ein paar Tagen habe ich diese Bild geknipst und mir gedacht, dass die grossen Schneefälle den Einheimischen und den Gästen die Gelegenheit geben, es ruhiger und gemütlicher zu nehmen. Nun brauchen wir uns definitiv keine Gedanken zu machen über Termine und Verpflichtungen da draussen…

Greetings from Tenna! As of this afternoon we have no road connection to the outside world due to the high avalanche danger.

A couple of days ago I took the above picture, thinking that these heavy snowfalls give the villagers and guests the opportunity to take it easy and more relaxed. Now, there is absolutely no need anymore to worry about appointments and commitments in the “outer world”…

Update:

 

 

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Safierstrasse – our highway…, 4. Januar 2018 (photo credit: Thomas Buchli)

Update 2: Nach dem Sturm – after the storm!

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“Vollmond” in eisiger Nacht – A full moon over frozen ground (January 5th, 2018)

A sign from the closet

A silent witness

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Today, I rediscovered a little label in my closet. “O. A.” That signifies me. That piece of clothing belongs to me.

However, I didn’t get excited about the possession. Having things and defending ownership is meaningless for me. This little label comes from a time, when my mother used to label the clothing of all siblings – not only to avoid having them mixed up among them, but also – as they started to leave the nest – as  a reminder to take care of things out there in a world that does not provide the sheltering and protecting environment home offers.

Today, this little label has a different meaning. I left home for the world in 1979. I have been moving around. This insulating layer has moved along ever since. It has protected me from climatic inconveniences for many years under various circumstances.

As far as I am aware, it is the last piece of clothing from my youth that still serves its purpose. It has survived all consumerist trends. I will continue to honour it as a silent witness against wasteful lifestyles.

Ein Zeichen im Kleiderschrank

Ein stiller Zeuge

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Heute habe ich im Kleiderschrank ein kleines Namensschild wieder entdeckt. “O. A.” Das sind meine Initialen. Das Kleidungsstück gehört mir.

Doch, Besitz erregt mich nicht: Das Haben von Dingen und die Verteidigung von Besitzstand ist bedeutungslos für mich. Dieses Namensschild kommt aus einer Zeit in der meine Mutter die Kleider aller Geschwister markierte: nicht nur um Verwechslungen untereinander zu vermeiden, sondern auch um daran zu erinnern, dazu Sorge zu tragen als wir nach und nach in die grosse weite Welt auszogen, die im Vergleich zum Zuhause dann nicht mehr eine behütete Umgebung bieten würde.

Heute hat das Namensschild für mich eine ganz andere Bedeutung. Ich bin 1979 von Zuhause aus gezogen. Und ich bin in der Welt herum gekommen. Das Wollhemd ist mir seither gefolgt. Es hat mich in verschiedenen Umständen vor unangenehmen klimatischen Einflüssen geschützt.

Soweit ich weiss, ist dies das letzte Kleidungsstück aus meiner Jugend das heute noch nützlich ist. Es hat alle Konsumströmungen überlebt. Ich will es als stiller Zeuge gegen verschwenderische Lebensentwürfe weiter in Ehren halten.

 

Dreams go on…

Träume die bleiben…

Dieses Video portraitiert ein Ort und Leute die einen wichtigen Bezug zu meinem Lebenslauf darstellen. Wir zogen damals aus, um genau diese Farm weiter zu führen, um einen Lebensstil wie diesen zu pflegen. Danke an Dale und Sue, Dick und die viele anderen, die den Traum bis heute weiter führen. Danke an Naomi für das Festhalten dieses Lebens in Bild und Ton.

This video shows a place and people that have an important connection to my own biography. We left the Old World years ago to continue on exactly this farm and to live this kind of life style. Thank you to Dale and Sue, to Dick and the many others involved, for keeping the dream alive. Thanks to Naomi for capturing the beauty and the spirit of the place in video.

 

Psalm 119 – a plain Quaker version

Für Quäker – kurz und bündig

An Eye in the Sky
Dramatische Stimmung im Safiental. – Dramatic mood in the Safien Valley

"God -

let me be silent more clearly,

since I am not hearing well."

inspired by Psalm 119 “Happy are those whose way is perfect ”

(Own translation from a vocal ministry during Meeting for Worship at SYM retreat at Montmirail, Switzerland, February 12, 2017)

"Gott,

lass mich deutlicher schweigen,

denn ich höre nicht gut."

Frei nach Psalm 119: “Die Herrlichkeit des Wortes Gottes”

(Wortbeitrag während einer Quäkerandacht anlässlich der SYM Retraite in Montmirail am 12. Februar 2017)