
Ganz im Sinne der postmodernen Erscheinung, alles Mögliche in Listenform zu publizieren, führe ich hier zehn Lebenseinstellungen und Verhaltensweisen an, die hoffentlich auch John Woolman vertreten könnte um Überflüssiges zu vermeiden.
- Schnäppchen
Ich kaufe nicht auf Vorrat oder weil etwas gerade jetzt ein gutes Angebot ist. Die ganze Angebotspolitik ist ja nicht da um meinen Bedürfnissen gerecht zu werden, sondern um den Umsatz und Gewinn der Hersteller und Verteiler zu maximieren. Wenn ich mich auf das Wesentliche beschränke im Leben, so kann ich etwas auch dann erstehen wenn ich es wirklich brauche, auch wenn es zu dem Zeitpunkt nicht im Angebot ist.
Ich habe schon so oft bei mir selber beobachtet, dass ich nach Monaten oder Jahren auf Gegenstände gestossen bin, die ich zu einem gewissen Zeitpunkt als Schnäppchen erstanden habe, aber dann nie gebrauchte.
Ich möchte nicht für die Verwendung von Einzelportionen plädieren. Nicht auf Vorrat einkaufen heisst für mich erstens nicht nach dem Motto „man weiss ja nie wozu das noch nützlich sein kann“ zu kaufen. Andererseits heisst es auch, dass ich Grundnahrungsmittel und Anderes in Mengen einkaufe, die ich innert nützlicher Frist gebrauche. Und ich überlege mir natürlich auch, ob ich zum Beispiel mehrere Spezialmehlsorten im Küchenschrank habe, oder ob ich mir mit einer Art Mehl behelfen kann. Meine Erfahrung zeigt, dass sich viele Sachen mit Haushaltmehl herstellen lassen auch wenn die Rezepte nach verfeinerten Spezialitäten rufen!
2. Dazu Kaufen
Ich bemühe mich erst für einen Ersatz für einen Gegenstand, wenn alles aufgebraucht ist oder sich die Funktionstüchtigkeit nicht mehr herstellen lässt. Wir haben das Glück in einer Gesellschaft zu leben, wo alles schon fast jederzeit erhältlich ist. Zudem wohnen wir in der Nähe der Versorgungszentren und haben die Mittel dorthin zu kommen.
Ich finde es wichtig, auch die letzten Tropfen in einer Flasche Wert zu schätzen. Zu oft haben wir das Gefühl, der kleine Rest lohnt sich nicht mehr, oder ist nicht genug für das was ich brauche, oder welches Argument wir uns auch einreden um vorzeitig mehr zu konsumieren. Damit werden wir alle zu Treiber der konsum- und wachstumssüchtigen Wegwerfgesellschaft.
Es ist mir aufgefallen, dass es zum Beispiel bei der Zahnpaste keine Katastrophe ist, wenn ich an einem Samstag Abend den letzten Rest aus der Tube drücke. Es gibt ja einfache Alternativen zur kommerziellen Zahnpaste um für einen Tag oder zwei die Mundpflege zu machen. Doch es ist eine grosse Herausforderung meiner Gewohnheiten und meiner Bequemlichkeit.
3. Neues Anschaffen
Wenn ich wirklich das Gefühl habe etwas zu benötigen, dann recherchiere ich erst welcher Gegenstand meinen Bedürfnissen am besten entspricht. Das ist ein Vorgang, der Zeit braucht. Als nächster Schritt vergleiche ich dann die Preise und Bedingungen von verschiedenen Anbietern. Wenn ich soweit bin, dass ich ein befriedigendes Angebot gefunden habe, warte ich bei kleineren Sachen einen Tag oder eine Woche, bei grösseren Anschaffungen einen Monat oder länger, bevor ich dann den Kaufentscheid fälle und die Anschaffung tätige. Dabei ist es mir immer wieder aufgefallen, dass sich scheinbare Bedürfnisse als solche entlarvt haben und der Kauf damit überfällig wurde.
So wollte ich einmal eine Wetterstation anschaffen um die lokalen Klimadaten zu überwachen und über Zeit zu beobachten. Das schien äusserst angebracht als wir in einer subarktischen Klimazone im Norden Kanadas unser Gemüse aus Selbstversorgung produzieren wollten. Die ganze Recherche hat einige Wochen gedauert (mit Dial-up Internet) und am Ende hatte ich das perfekte System für unsere Bedürfnisse. Kostenpunkt etwa $2,000. In der Zwischenzeit haben wir aber auch gelernt, uns auf die Zeichen der Natur zu achten und ihnen Beachtung zu schenken. Der Garten entwickelte sich wunderbar und wir deckten unseren Bedarf an frischen Lebensmitteln in den meisten Jahren. Die schweren Fröste während der Vegetationszeit, die uns gelegentlich zu schaffen machten, hätten sich zwar exakter vorhersagen, aber nicht verhindern lassen mit einer raffinierten Wetterstation.
4. Mobilität
Die ersten gut zehn Jahre meines Erwachsenenlebens habe ich bewusst ohne Auto gelebt. Ich habe mein Leben so eingerichtet, dass ich meine Transportbedürfnisse in der Schweiz und Europa mit öffentlichen Verkehrsmitteln befriedigen konnte obwohl ich in Randgebieten wohnte. Nach der Auswanderung nach Kanada mit einer jungen Familie schien das nicht mehr möglich. So lebten wir mit einem Auto während fünfzehn Jahren. Erst mit einem, dann mit zweien – weil wir das nicht anders einrichten konnten. Doch dann kamen die Zweifel zurück, auch wegen der Grösse der Fahrzeuge. So haben wir dann erst in der Wagengrösse reduziert: 3 statt 8 Zylinder.
Es brauchte dann weitere fünf Jahre bis ich mich endlich durchringen konnte mein Fahrzeug auf zu geben (obwohl es der sparsamste Wagentyp war der in Kanada erhältlich war). Was mir am Schluss wirklich geholfen hat, den Schritt zu wagen mich wieder zu Fuss, mit dem Fahrrad und mit öffentlichen Verkehrsmitteln fort zu bewegen, war die Erkenntnis, dass ich affluent genug sei um mir jederzeit ein Auto anmieten zu können wenn es nicht anders gehe. Meine Erfahrung hat gezeigt, dass dieses Szenario genau dreimal in fünf Jahren eingetreten ist!
5. Wohnraum
In unserer Zeit ärgert es uns immer wieder, wie viel Lebensraum zersiedelt wird. Die Schuld wird MigrantInnen und anderen externen Faktoren zugeschoben. Doch die wenigsten überlegen sich wie viel Wohnraum wir heute selber in Anspruch nehmen und wie weit sich das mit unseren Bedürfnissen deckt.
Wohnen, das Bedürfnis nach Schutz vor den Elementen und einem Zuhause, ist ein menschliches Grundbedürfnis. Ich habe in verschiedenen Phasen meines Lebens auf einen festen Wohnsitz verzichtet. Vor wenigen Jahren habe ich dann aus Interesse mich hin gesetzt um heraus zu finden, was ich denn wirklich bräuchte, um meine persönlichen Bedürfnisse nach Schutz und Zuhause zu befriedigen. Aus dieser Gedankenübung entstand ein interessantes handwerkliches Experiment. Am Schluss stellte sich heraus, dass ein wohl durchdachter Raum von 2,5 auf 6 Meter (15 m2) für mich genügt um unabhängig zu leben.
Auf der andern Seite habe ich auch erlebt, dass ich mich in Gemeinschaft sehr wohl fühlen kann. Verschiedenste gemeinschaftliche Wohn- und Lebensformen beanspruchen weniger Raum und Ressourcen als ein individualistischer Lebensstil mit viel Privatsphäre und Umschwung. Dazu kommt, dass ein kollektives Leben das einzelne Leben vereinfachen und bereichern kann durch Synergien und gegenseitige Hingabe und Austausch.
6. Arbeit und Freizeit
Wir leben heute mehrheitlich in einer Freizeitgesellschaft. Das heisst, dass das Leben in eine Arbeitswelt und eine Freizeitwelt aufgespaltet wird. Die eine Welt hat mit der andern wenig zu tun, es gelten jeweils eigene Regeln. Doch erkennen viele Menschen, dass sie in der Arbeitswelt nicht erfolgreich sein können ohne die Erholung, die sie geniessen oder suchen in der Freizeitwelt. Dafür werden sie hoffentlich in der Arbeitswelt grosszügig genug entschädigt, um sich die Freizeit und Erholung leisten zu können.
Für mich kommt diese Trennung Arbeit und Leben nicht in Frage. Ich strebe eine Einheit an, auch wenn es nicht immer gelingt.
In der selbständigen Landwirtschaft und im Kloster habe ich das am ehesten erlebt. In bezahlten Arbeitsverhältnissen ist es sehr schwer realisierbar. Das illustriert für mich, dass die Lohnarbeit im Wesentlichen die Bedürfnisse des Arbeitgebers erfüllt; die menschlichen Bedürfnisse des Arbeitnehmers werden zurück gesteckt. Diese Form von Prostitution wird heute soweit getrieben, dass nicht-existenzdeckende Löhne immer zahlreicher werden.
Die Modernisierung hat viele Menschen entbunden von alltäglichen Arbeiten. Früher war es selbstverständlich, dass man selber Hand anlegen musste um eine Mahlzeit zu bereiten, um warm zu haben, um Kleider zu machen, um die meisten Grundbedürfnissen zu befriedigen. Heute ist vieles automatisiert. Ich freue mich zum Beispiel auf´s Brot backen, denn in der Zeit muss ich mir nicht krampfhaft eine (oft konsumabhängige) Ersatztätigkeit suchen um meine Freizeit zu gestalten.
7. Wohlstand und Geld
Einfachheit und Bescheidenheit sind gute Wegbegleiter. Nur weil ich viele Möglichkeiten habe muss ich diese noch lange nicht ausschöpfen. Denn nicht alles was möglich ist, oder wozu ich das Recht habe, ist auch sinnvoll und befriedigt ein persönliches, menschliches Bedürfnis. Ich kann zum Beispiel mein Erspartes anlegen und damit Zinsen oder Dividenden verdienen. Das Geniessen von Wohlstand ist ein umstrittenes Thema heute, denn was wir heute mit Geld machen können ist oft unsichtbar auf dem Buckel von weniger privilegierten Leuten erarbeitet worden.
Mein Umgang mit Geld versuche ich immer mehr zu verringern indem ich versuche, meine Anhängigkeit von monetären Wertvorstellungen zu reduzieren. Wieviel ist meine Arbeitskraft wert? Darauf gibt sich für mich keine Antwort. Ich weiss lediglich, dass ich eine bescheidene Summe Bargeld verdienen muss um die Lebenshaltungskosten als Mitglied der heutigen Gesellschaft zu bestreiten.
Doch ich verstehe auch grundsätzlich, dass der Dienst am Nächsten nicht verkäuflich sein darf: Daher macht es mehr Sinn, Dienstleitungen umsonst zu erbringen. In einem Netzwerk von Beziehungen (an Stelle von einem Netzwerk von Transaktionen) wird sich auf Grund von Bedürfnissen eine Reziprozität ergeben. Ich setze mich heute ein für die Bedürfnisse Anderer, bevorzugter weise Minderprivilegierten. Dafür habe ich das Vertrauen, dass ich Unterstützung finde wenn ich bedürftig sein werde.
8. Bewusstsein und Gewohnheit
Gewohnheit ist etwas unheimlich Beruhigendes für den Menschen. Doch ich zweifle, dass es viel Verbundenheit hat mit dem Göttlichen. Alle unsere gängigen Vorstellungen und Symbole des Göttlichen, zum Beispiel das Licht, der Hauch, etc. haben nichts Statisches, nichts Ruhendes an sich. Es ist etwas Bewegtes.
So will ich mich auch bei all meinen Entscheidungen erst bewusst werden, dass ich eine noch so kleine Entscheidung fällen will oder muss. Dann will ich wissen oder erfahren, ob ich das rechte Mittel zum Zweck wähle. Nur weil mir suggeriert wird, dass Cola ein hervorragender Durstlöscher ist, muss ich meinen Durst nicht damit löschen, denn dazu wurde den Geschöpfen auf Erden Wasser gegeben. Oder, als anderes Beispiel: Wenn ich mich zuhause einsam fühle, dann drehe ich den Fernseher oder das Radio an. Dabei wäre es doch angebracht, dass ich dann Kontakt suchen würde zu einem Mitmenschen.
Und wenn es bequem ist, etwas aus Gewohnheit zu machen, so möchte ich mir dessen auch bewusst sein. Gelegentlich kann ich mir die Mühe nehmen, solche Gewohnheiten zu hinterfragen und kritisch zu prüfen. So wie ich das vor fast zehn Jahren mit der Benutzung meines Privatautos gemacht habe.
9. Mut zur Eigenständigkeit
Radikalität schaut hin zu den Wurzeln und lässt Mode Mode sein. Menschen sind im Ebenbild Gottes geschaffen, alle gleich, aber mit einem eigenständigen Potenzial. Von daher gibt es für mich nicht „den richtigen Weg“ oder ein allgemein gültiges Rezeptbuch, wie man Einfachheit leben kann oder soll.
John Woolman hat in seinem Tagebuch fest gehalten, was ihn motiviert hat und wie er gehandelt hat. Es gibt Beispiele die berühren mich komisch: Mir macht es nichts aus bei einer Einladung Wasser aus einem Kristallglas oder einem Plastikbecher zu trinken. Andererseits ist für mich auswärts essen kaum mehr möglich in Anbetracht der enormen Diskrepanz zwischen den Preisen auf der Karte und den Löhnen der oft braunhäutigen Menschen die im Hintergrund schuften.
Ich lebe in einer anderen Zeit und anderen Welt, und muss eigenständig, aber nicht eigenmächtig oder egoistisch handeln. Meine Radikalität ergibt sich einzig daraus, dass meine Entscheidungsgrundlagen anders sind als die heute als Norm angenommenen Treiber der kapitalistischen Konsumgesellschaft. Ich suche nicht die Askese oder das Seelenheil; ich suche nicht durch Leiden und Entbehrung allfällige Schuldgefühle los zu werden. Ich suche auch nicht mein Leben zu optimieren um erfolgreich zu sein und um Krankheit und Altern zu verhindern.
Ich will bewusst ein einfaches Leben leben, weil ich darin ein Weg zur Erfüllung eines göttlichen Auftrags sehe, ein gerechteres Leben für alle zu ermöglichen. Es gibt verschiedenste historische Vorbilder, wie zum Beispiel Jesus, Franziskus von Assisi, oder Mahatma Gandhi die mich in dieser Bestrebung bestärken können. Und ich habe keine Geduld auf einen metaphysischen Retter und Erlöser zu warten.
10. Deine Erfahrungen
Was ist denn für dich wichtig und entscheidend um Überflüssiges zu vermeiden? Wie gehst du konkret damit um? Wie radikal kann und soll man heute sein?
Ich lade dich herzlich ein deine Gedanken in der unterstehenden Kommentarbox mit den Lesern zu teilen.
Es ist gut, die Welt nicht mehr in Starke (wir selber) und in Schwache (diejenigen, denen wir helfen müssen) einzuteilen. Es ist gut, in den Schwachen das Starke zu sehen, und zu sehen, wo die Person, der ich helfe, mich selber trägt.
Es ist gut, in mir selber das Schwache zu sehen: meine eigene Bedürftigkeit, meine eigene Frustration, Wut und Angst. Es ist gut, mich auf diese Weise meiner selbst anzunehmen. Und auch Anderen zu erlauben, sich meiner anzunehmen.
Nur so können wir uns gegenseitig brüderlich und schwesterlich beistehen. Auf Augenhöhe. Und uns gemeinsam des Lebens freuen. Und auch mal was geniessen miteinander und uns etwas gönnen!
Herzlich
Astrid
Danke Astrid für deine ergänzenden Gedanken. Die Gleichwertigkeit ist wirklich auch eine Form von Einfachheit. Selbstverständlich ist es hoch komplex die Gleichwertigkeit im Leben um zu setzen. Sind wir nicht alle so erzogen und kulturell geprägt worden, dass wir stärker, besser, wettbewerbsfähig sein müssten?